Zum Kampftag der Arbeit

Am 1. Mai, zum Kampftag der Arbeit, präsentiert der DGB-Vorstand in seinem Aufruf die Große Koalition als eine Regierung, die erstmals seit Jahren wieder im Interesse der Arbeiterschaft Reformmaßnahmen ergreift: „2014 ist das Jahr wichtiger Weichenstellungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Nach Jahren der Deregulierung machen sich Politik und Gesellschaft endlich auf den Weg zu einer Neuen Ordnung der Arbeit.“ Als Beispiel führt der DGB den gesetzlichen Mindestlohn an, der „die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Millionen von Menschen verbessern“ wird.

Sollte dem DGB-Vorstand entgangen sein, dass die Große Koalition ihr ganzes Regierungsprogramm unter die beiden Grundgesetze der Schuldenbremse und Wettbewerbsfähigkeit gestellt hat, d.h. unter die beiden Prinzipien der Schröder-Agenda: harte Sparpolitik zur Schrumpfung des Sozialstaats, sowie der Deregulierung/Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse – der „Ordnung der Arbeit“, zur Senkung der Lohnkosten?

Die Arbeitnehmer machen ganz andere Erfahrungen mit der Politik der Regierung Merkel/Gabriel.

Die 2,2 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes haben in einer kraftvollen Streikbewegung mit ihren Gewerkschaften für ihre berechtigten Forderungen gekämpft: für eine kräftige Reallohnsteigerung nach jahrelangem Lohnverzicht, und für die Zusatzforderung für die unteren Lohngruppen, um diese aus Niedriglohnverhältnissen zu befreien; sowie für Forderungen gegen die Befristung.

Mit diesen Forderungen mussten sie zusammenprallen mit der Fortsetzung der Sparpolitik unter dem Druck Schuldenbremse. Zwar konnten die Beschäftigten im öffentlichen Dienst die Sparzwänge mit der erkämpften Lohnerhöhung punktuell durchbrechen. Doch unter dem erpresserischen Druck der öffentlichen Arbeitgeber, der Minister der Großen Koalition, sollen sie jetzt mit Kompensationen wie Nichtwiederbesetzung offener Stellen, Privatisierungen, Ausgliederungen aus dem Flächentarifvertrag in Niedrigtarife, Stellen- und Leistungsstreichungen dafür zahlen. Damit die Schuldenbremse respektiert wird.

Den Druckern, die für eine Lohnerhöhung von 5,5% in den Streik getreten waren, drohten die Arbeitgeber ganz unverhohlen – mit dem Argument, dass sie dem Wettbewerb Rechnung tragen müssten – mit weiterem Arbeitsplatzabbau, mit Ausgliederung ganzer Teile der Beschäftigten und mit Flucht aus dem Flächentarifvertrag.

Nach monatelangen Streikaktionen in 2013 stehen jetzt die Beschäftigten bei Amazon erneut im Streik für einen Tarifvertrag und Lohnerhöhungen – gegen Lohndumping und prekäre Beschäftigungsverhältnisse, die ihnen die Amazon-Geschäftsleitung ganz im Sinne des Wettbewerb-Gebots der Großen Koalition aufzwingt.

Und der gesetzliche Mindestlohn – von der DGB-Führung gefeiert als „Korrekturreform“ und erstem Schritt für eine „neuen Ordnung der Arbeit“?

Schon bevor er verabschiedet ist, drängen die Arbeitgeberverbände darauf, dass die Mindestlohnanhebungen kompensiert werden, durch Senkung der Lohnkosten an anderer Stelle, durch die Beschränkung auf „moderate Lohnforderungen“, durch die Erpressung von weiteren Öffnungsklauseln/Flexibilisierungen, Tarifflucht aus den Flächentarifverträgen.

Und der beabsichtigte Mindestlohn wird weder die Weiterexistenz von Billiglöhnen für viele Arbeitnehmer verhindern, noch die Ausweitung des Niedrig- und Armutslohnsektors und die Vermehrung des Millionenheeres der „Minijobber“, des „modernen“ Prekariats, besonders auch der Jugend.

In den Kommunen drängen zunehmend kommunale Beschäftigte, wie Beschäftigte in den Krankenhäusern, im öffentlichen Nahverkehr und Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge, Lehrer… zu gewerkschaftlich organisierten Kämpfen gegen die Fortsetzung der Kaputtsparpolitik. Diese Proteste haben ein Echo gefunden, z.B. bei sozialdemokratischen kommunalen Mandatsträgern und Bürgermeistern in NRW, die sich unter dem Druck der Schuldenbremse gezwungen sehen, öffentliche Aufgaben an Private zu vergeben, wegen Personalmangels Leistungen zusammenzustreichen… Verantwortliche SPD- Kommunalpolitiker und auch Unterbezirke haben ihre Empörung dem SPD-Parteichef Gabriel offen ins Gesicht geschleudert. Nur wegen des Versprechens von Milliardenentlastungen für die Kommunen hätten sie trotz starker Bedenken dem Gang der SPD in die Große Koalition zugestimmt. Und nun sollen die ohnehin völlig unzureichenden finanziellen Mittel zur Hilfe aus der schlimmsten Notlage bis ins Jahr 2018 gestreckt werden. Angesichts der bevorstehenden Kommunalwahlen erinnern sie an die dramatischen Verluste der SPD in den Arbeiterhochburgen1999, als die SPD-Stammwähler die Politik der sozialen Demontage durch die Regierung Schröder mit massiver Wahlverweigerung beantwortet haben.

Mit ihrem Aufruf zum 1. Mai appelliert die DGB-Führung an alle Kolleginnen und Kollegen bei den Europawahlen „wählen zu gehen“.

Die Gewerkschaftsführungen müssen konstatieren: „Die derzeit herrschende Politik macht sie (die europäische Einigung) kaputt“… um die die Arbeitnehmer aufzurufen: „Damit das anders wird, gehen wir zur Wahl“.

Doch welches Interesse können die arbeitende Bevölkerung und Jugend an den Wahlen zum EU-„Parlament“ haben, das – ohne Haushalts- und Gesetzgebungsrechte – den Namen „Parlament“ zu Unrecht trägt. Ein „Parlament“, das alle Programme und Schläge gegen die Arbeiterschaft und Völker im Namen der Euro- und Bankenrettung begleitet? Ein „Parlament“, das die Politik der EU abdeckt, die die Völker in die Verarmung treibt, die sie in einen erbarmungslosen Konkurrenzkampf gegeneinander hetzt, und die damit den Nährboden für rechte Demagogen schafft.

Mit ihren Kämpfen gegen das harte Sparen, gegen Prekarisierung/Deregulierung, gegen die Fortsetzung der Agenda-Politik durch die Große Koalition, nimmt die Arbeiterschaft in Deutschland ihren Platz ein an der Seite der Arbeitnehmer und Völker in ganz Europa im Kampf gegen die Banken- und Euro-Rettungspolitik, gegen die politischen Diktate der EU und ihrer Verträge, gegen die Zerstörungsprogramme der Troika.

Die Arbeitnehmer und Völker, die sich massiv den Wahlen zum „Europa-Parlament“ verweigern und damit ihrer Ablehnung der Europäischen Union, ihrer Institutionen und Verträge Ausdruck geben, bahnen mit ihren Kämpfen den Weg zu einem „anderen Europa“, zu einem solidarischen Europa der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und des freien Bündnisses der souveränen Völker, befreit von den politischen Diktaten der EU und Troika und von Regierungen, die diese gegen das eigene Volk umsetzen.

Carla Boulboullé


Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 320 vom 24. April 2014

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