Zusammenprall mit der Politik der Großen Koalition

Der Kampf der Beschäftigten im öffentlichen Dienst (Bund und Kommune) war nicht nur der erste große Tarifkampf, der die Tarifrunde 2014 eröffnet und damit Signale für diese gesetzt hat, sondern er war auch der erste nach der Bildung der Großen Koalition.

Die Forderungen der Gewerkschaft ver.di für die 2,2 Millionen Beschäftigten nach kräftiger Reallohnsteigerung, besonders für die unteren Lohngruppen und für die Beschäftigtengruppen, denen zuvor ein besonderer Verzicht aufgezwungen wurde, sowie gegen die Befristung mussten zusammenprallen mit der Fortsetzung der Sparpolitik, der Haushaltkonsolidierung unter dem verschärften Druck der Schuldenbremse, vor allem auf der Ebene der Kommunen.

So, wie die Forderungen nach kräftiger Reallohnsteigerung in den Tarifkämpfen in der Privatwirtschaft mit dem Diktat der Wettbewerbsfähigkeit zusammenprallen. In vielen Fällen stoßen die KollegInnen auf Androhungen von Entlassungen, Tarifflucht und Auslagerungen in Niedrigtarife. Die Arbeitgeberverbände in der Privatwirtschaft haben eine Kampagne begonnen und fordern, bei den Lohnforderungen maßzuhalten und für die weitere „Flexibilisierung des Arbeitsmarktes“ zu sorgen, weil die Arbeitskosten in Deutschland schon jetzt steigen würden. Durch die Einführung des Mindestlohns würden sie noch weiter nach oben getrieben und die „Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft“ vollends zerstören.

SPD-Wirtschaftsminister Gabriel hat in seinem Jahreswirtschaftsbericht für die Große Koalition den politischen Spielraum für Lohnerhöhungen in der gesamten Tarifrunde 2014 und damit eine politische Lohnleitlinie festgesetzt: auf keinen Fall darf gegen die Anforderungen der Schuldenbremse verstoßen werden, weil das „Arbeitsplätze gefährde“.

Wer erkennt darin nicht die Erinnerung der Gewerkschaftsführungen daran, im Falle von unvermeidbaren stärkeren Lohnerhöhungen „Kompensationen“ für die steigenden Lohnkosten durch weitere Öffnungsklauseln, Erosion der Flächentarifverträge und Ausgliederungen in Niedrigtarife zuzulassen?

Das Zugeständnis von Lohnerhöhungen nur unter der Akzeptanz von kompensierender Senkung der Lohnkosten an anderer Stelle zur Respektierung der Vorgaben der Schuldenbremse: ist das der klammheimliche „Kompromiss“ des Gewerkschaftsvorsitzenden Bsirske mit den öffentlichen Arbeitgebern, mit der Politik der Großen Koalition und besonders mit den SPD-Ministern in der Regierung?

Die öffentlichen Arbeitgeber, die Minister der Großen Koalition und die Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) hatten im Falle der Durchsetzung zu hoher Lohnforderungen sofort mit Kompensationen gedroht. Kann es Zufall sein, dass die jetzt angekündigten Kompensationen von Privatisierungen, Stellen- und Leistungsstreichungen Maßnahmen sind, gegen die zu streiken den Gewerkschaften das Recht abgesprochen wird, was von der Gewerkschaftsführung noch immer akzeptiert wird?

Die Gewerkschaftsführung selbst wurde von der Kampfbereitschaft der KollegInnen überrascht, die mit ihrer kraftvollen Warnstreikwelle ihre Entschiedenheit demonstriert haben, die Forderungen gegen alle Diktate durchzusetzen, d.h. auch die Zwänge der Schuldenbremse zu durchbrechen.

Die Verhandlungsführung unter dem ver.di-Vorsitzenden Bsirske zielte auf ein schnelles Ergebnis, was den vorschnellen Abbruch der Streiks verlangte. Das Ergebnis durchbricht mit der Reallohnsteigerung für 2014 – 90 Euro mindestens für alle, 3% Lohnerhöhung – die Mauer des Spardiktats. Fallengelassen wurden jedoch die besonders dringlichen Forderungen gegen die Benachteiligung bestimmter Beschäftigtengruppen, sowie gegen die sich epidemisch ausbreitende Befristung, was u.a. unter den KollegInnen Protest und Diskussionen provoziert hat und auch Gegenstimmen in der Bundestarifkommission gegen den vorläufigen Tarifabschluss.

Während des Tarifkampfes waren KollegInnen in NRW dafür eingetreten, dass notfalls auch durch einen unbefristeten Streik die wirkliche Durchsetzung einer kräftigen Reallohnsteigerung, mit Garantien für die Abwehr von Kompensationen, erkämpft werden sollten. „Es muss ausgeschlossen werden, dass erkämpfte Lohnerhöhungen durch noch mehr Personalabbau und Arbeitsverdichtung vom öffentlichen Arbeitgeber kompensiert werden. Das müsste von ver.di mit dem Tarifabschluss vertraglich geregelt werden“, verlangten Kollegen in Berlin auf den Streikkundgebungen.

Doch das verbindet sich für die KollegInnen mit der Notwendigkeit, den Gewerkschaften den Auftrag zu geben, die Kaputtsparpolitik endlich zu stoppen und dafür den gewerkschaftlichen Kampf zu organisieren.

Die Bürgermeister und kommunalen Mandatsträger machen auf ihre Weise ihre Erfahrung mit der Fortsetzung der Schuldenbremse, die ihren völlig ausgebluteten Kommunen die Kaputtsparpolitik diktiert; die sie zwingt, angesichts der Lohnsteigerungen auf die Besetzung offener Stellen zu verzichten, die Leistungen abzubauen und öffentliche Aufgaben auszugliedern. Verantwortliche SPD-Kommunalpolitiker aus NRW erinnern an das Versprechen von Milliardenentlastungen für die Kommunen durch Parteichef Gabriel. Jetzt aber solle die schon kümmerliche Entlastung(*) von jährlich einer Milliarde womöglich erst 2018, also nach Ende der Legislaturperiode(!), die vollen 5 Milliarden erreichen. Das sei Wortbruch! „Unter diesen Voraussetzungen hätten wir und zahlreiche kommunale Mandatsträger unserer Partei dem Koalitionsvertrag nicht zugestimmt“, schreiben die SPD-Stadträte von 16 Kommunen im Ruhrgebiet in einem Brandbrief an die SPD-Minister Gabriel und Nahles.

Wenige Wochen vor den Kommunalwahlen werden die SPD-Kommunalpolitiker von Panik ergriffen: sie fürchten eine noch massivere Wahlverweigerung der SPD-Stammwähler als schon in allen letzten Wahlen.

Sozialdemokratische GenossInnen aus mehreren Bundesländern, in denen jetzt Kommunalwahlen stattfinden, haben in der Diskussion auf der Arbeitnehmerkonferenz am 15.2.2014 in Berlin erklärt, dass sie sich an die SPD-Mitglieder, Verantwortlichen und Mandatsträger wenden werden, um sie aufzufordern, für die gemeinsame Mobilisierung der Beschäftigten und der Bevölkerung für die Verteidigung der öffentlichen Daseinsvorsorge, für die Finanzierung der dringlichsten Maßnahmen zur Rettung der Städte und Gemeinden, der Krankenhäuser, Schulen, Universitäten und des Nahverkehrs zu handeln: Denn sie seien nicht der Schuldenbremse verpflichtet, sondern den Forderungen der Arbeitnehmer und Jugend, der kommunalen Demokratie.

Carla Boulboullé

Anmerkung:
*) Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, die den Kommunen von oben aufgedrückt wird


Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 319 vom 10. April 2014

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