“Europa retten. Vor der Ablehnung der Menschen” (Martin Schulz)

Bei der Europawahl 2014 geht es darum, ob es gelingt, „Europa zu retten. Vor der Ablehnung der Menschen“. Deshalb müssen wir dafür antreten, „die Europäische Union zu verändern und sie besser machen“, appelliert Martin Schulz in seiner Rede auf der Europadelegiertenkonferenz der SPD am 26. 1. in Berlin.

Mit Versprechungen aller Art für eine andere Politik wollen er und die SPD-Führung die Wähler mobilisieren. Dabei treibt sie die Angst vor dem Nein der Arbeitnehmer und Völker zur Europäischen Union, das sich auch 2009 in der Rekord-Wahlverweigerung in ganz Europa Ausdruck verschafft hatte.

Unterstützt wird die SPD-Führung durch den Wahlaufruf des DGB, der mit dem Versprechen wirbt, wählen zu gehen, um einen „Politikwechsel für die Arbeitnehmerinnen zu erreichen“.

Sie bieten alles auf, um die EU und den Euro zu retten – gegen die Kämpfe und Widerstandsbewegungen, in denen sich die Arbeitnehmer und Völker gegen die Zerstörungsdiktate der EU/Troika erheben. „Europa ist bedroht. Weil sich die Menschen von Europa abwenden. Wir müssen die Menschen für Europa zurückgewinnen“. Auch in Deutschland, wo die SPD mit 20,8% schon bei den Europawahlen 2009 eingebrochen ist (bei einer Wahlenthaltung von 56,7%) gibt es keinerlei Begeisterung, weder in der Bevölkerung, noch bei den Gewerkschafts- und SPD-Mitgliedern, für diese Europawahlen 2014.

Schon einmal hat die DGB-Führung das Versprechen auf einen Politikwechsel als Lockvogelargument für die Wählermobilisierung genutzt, um im Vorfeld des Bundestagswahlkampfes 2013 den Weg für den Gang der SPD in die Große Koalition zu ebnen und damit die Rolle als Steigbügelhalter für eine erneute Kanzlerschaft Merkels zu übernehmen – in einer Situation, wo Merkel durch die breite Ablehnung ihrer Euro- und Bankenrettungs- und Agenda-Politik durch die Mehrheit der deutschen Bevölkerung faktisch politisch paralysiert war.

Tatsächlich wurde das politische Ziel der neuen Großen Koalition mit dem Koalitionsvertrag unmissverständlich offen gelegt: nämlich mit den beiden in der Präambel definierten nicht verhandelbaren Grundgesetzen der Fortsetzung der brutalen Sparpolitik und der Deregulierung/Prekarisierung im Namen der Schuldenbremse und Wettbewerbsfähigkeit. Ebenso verschreiben sich die Parteien der Großen Koalitionsregierung, CDU und SPD, mit dem Vertrag der Eurorettung und der ungehemmten Fortsetzung der Milliarden-Bankenflutungen. Das ist in Wirklichkeit das gleiche Programm der Großen Koalition für Deutschland und das der Troika aus EU, EZB und IWF für alle europäischen Länder.

Die SPD musste ihren Platz in der Regierung einnehmen, um der völlig geschwächten Merkel die Fortsetzung dieser Politik zu erlauben – unter dem trügerischen Versprechen von „Korrekturen“ an der Agenda-Politik.

Dieses politische Manöver findet jetzt seine Fortsetzung auf der Ebene der Europawahlen. Für einen Politikwechsel und soziale und demokratische Reformen: so präsentiert sich Martin Schulz als zukünftiger Präsident der EU-Kommission. Derselbe Martin Schulz, der aus dem „Europaparlament“ heraus seit vielen Jahren die EU-Politik unterstützt und begleitet und für die Durchsetzung ihrer Verträge, wie Lissabon-Vertrag oder Fiskalpakt und ESM, auch im deutschen Bundestag gesorgt hat. (Wen erinnert das nicht an die Kür von Steinbrück, einem der entschiedensten Verfechter der Agenda-Politik, zum SPD-Spitzenkandidaten
für „Korrekturen an der Agenda“, für den „Politikwechsel“ durch die Bundestagswahl).

Mit dem Sozialdemokraten Martin Schulz, der sich auf die Große Koalition in Berlin stützen will, setzen alle ihre Hoffnung auf einen Stabilitätsfaktor gegen die politische Krise der EU und ihrer Institutionen. Aber auch gegen die Erschütterungen, die die europäischen Regierungen erfasst, die sich immer öfter gezwungen sehen, schon beschlossene Antireformen auf Grund des heftigen Widerstandes der
Arbeitnehmer zurückzunehmen.

Mit Martin Schulz verbindet sich auch die Hoffnung, dass er als sozialdemokratischer Kommissionspräsident am ehesten geeignet ist, die Gewerkschaften auf europäischer Ebene in die gemeinsame Politik für die Rettung der EU und des Euro einzubinden.

Der IWF hat die Alarmglocke geläutet: es ist „lebenswichtig“, dass die europäischen Regierungen auf dem Weg der „Reformen“ weitergehen, d.h. der verschärften Spardiktate und Strukturreformen, einer Aufforderung, der Merkel mit ihrem entschiedenen Drängen auf den Wettbewerbspakt nachkommen will. Dieser eiserne Druck, der den Krisenanforderungen des Finanzkapitals folgt, vermittelt den wirklichen Auftrag an Martin Schulz als Präsident der EU-Kommission.

Schon vor den Bundestagswahlen haben die Fata-Morgana-Versprechungen von einem „Politikwechsel“ die Arbeitnehmer nicht daran gehindert, den Kampf für Reallohnerhöhungen und gegen Deregulierung/Prekarisierung zu führen und dafür ihre Gewerkschaften zu ergreifen, um reelle Korrekturen an der Agenda-Politik durchzusetzen.

Die Kampagne für den „Politikwechsel“ durch die Europawahlen wird die Arbeitnehmer in Deutschland – die gerade ihre ersten Erfahrungen mit der Fortsetzung der Agenda-Politik durch die neue Große Koalition machen – noch weniger daran hindern, für ihre Forderungen zu kämpfen.

Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes prallen zusammen mit dem neuen Bundesinnenminister der Großen Koalition, Thomas de Maizière (CDU), der die Forderungen nach Lohnerhöhungen von 5-6% im Namen des Gebots der „Krisenkonsolidierung“ durch die Schuldenbremse zurückweist. In Berlin sind es kommunale Mandatsträger, Beschäftigte und ihre Gewerkschaftsvertreter und die Bevölkerung, die sich für den Kampf gegen die Sparpolitik des SPD/CDU-Senats zu vereinen suchen, deren strikte Einhaltung die Große Koalition den Ländern und Kommunen noch verschärft verordnet. Die Beschäftigten von Amazon wie die angestellten  Lehrer kämpfen seit Monaten mit ihrer Gewerkschaft für einen Tarifvertrag, während unter dem EU-Gebot der Wettbewerbsfähigkeit die Tarifflucht und Zersetzung der Flächentarifverträge gefördert wird.

Diese – und andere – Kämpfe, wie die Erhebung der Parteibasis in der SPD gegen den Kurs der Führung in die Große Koalition, werden Gewerkschafter, Sozialdemokraten und politische Arbeiterkämpfer auf der bundesweiten Arbeitnehmerkonferenz am 15.2. in Berlin vertreten: Nein zur Fortsetzung der Spar- und Deregulierungspolitik durch die neue Große Koalition. Für die Verteidigung der Unabhängigkeit der  Gewerkschaften – gegen den Druck, sie den Diktaten der Schuldenbremse und der Senkung der Lohnkosten im Namen der Wettbewerbsfähigkeit zu unterwerfen.

Auf der Arbeitnehmerkonferenz wird eine starke Delegation aus Deutschland für die Europäische Arbeiterkonferenz am 1./2. März in Paris mandatiert werden, um die Widerstandsbewegungen gegen die harte Sparpolitik und Strukturreformen mit den Delegationen der anderen europäischen Länder zu koordinieren, für eine gemeinsame Kampagne in den Europawahlen; und einzutreten für die Einheit der Arbeiter und ihrer Organisationen in jedem Land, um auf der Grundlage der Arbeitersolidarität im gemeinsamen Kampf in der Lage zu sein, den politischen Diktaten der Troika, der Verträge und Richtlinien der EU ein Ende zu setzen.

Carla Boulboullé


Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 314 vom 30. Januar 2014

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