„Vertrauensvolle Sozialpartnerschaft“ – Lohndiktat … und die Demokratie

In seinem Jahreswirtschaftsbericht 2014 betont Gabriel als SPD-Wirtschaftsminister der Großen Koalition „den Dialog, die Kooperation und die vertrauensvolle Sozialpartnerschaft als Grundlage der sozialen Marktwirtschaft“ zu intensivieren. Damit geht es Gabriel um die verstärkte Integration der Gewerkschaften in die gesetzgeberische und Regierungsarbeit.

Das widerspricht grundsätzlich dem vom Grundgesetz mit der Koalitionsfreiheit definierten gewerkschaftlichen Auftrag der Vertretung der Interessen der Arbeiterschaft, in vollständiger Unabhängigkeit von Regierung, Staat und Kapital.

Diese Interessensvertretung stützt sich auf das demokratische Recht und die Fähigkeit der Gewerkschaften zum organisierten Arbeitskampf, zum Klassenkampf, für die Verteidigung der Arbeitnehmerinteressen in allen wirtschaftlichen und sozialen Belangen. Und das schließt übrigens das Recht auf gewerkschaftlich organisierte Kampfmaßnahmen und Streik gegen Regierungsmaßnahmen ein, sowie gegen strategische Entscheidungen von privaten und öffentlichen Arbeitgebern zu Privatisierungen, Entlassungen, Tarifflucht und Betriebsschließungen.

Demokratie herrscht da, wo die Arbeitnehmerschaft sich frei und unabhängig für die Vertretung ihrer Interessen gewerkschaftlich und politisch organisieren kann. Wo die Arbeiterschaft den organisierten Kampf für ihre gesellschaftlichen Klasseninteressen frei entfalten kann.

Ein Beispiel der „vertrauensvollen politischen Sozialpartnerschaft“ gibt Nahles, die SPD-Arbeits- und Sozialministerin der Großen Koalition. In vertrauensvoller Sozialpartnerschaft mit dem Arbeitgeberpräsidenten Kramer und dem DGB-Vorsitzenden Sommer arbeitet sie an einem Gesetzentwurf für einen gesetzlichen Mindestlohn, den sie im April vorlegen will.

Nachdem Millionen Arbeitnehmer aus den Flächentarifverträgen geworfen wurden und sich nur mit Billiglöhnen und unter hoffnungslos prekarisierten Arbeitsbedingungen über Wasser halten können, greifen die Kollegen seit einiger Zeit nach ihren Gewerkschaften für die Organisierung ihres Kampfes für Tarifverträge und auch für die Wiederintegration in den Flächentarifvertrag. In der Situation ist es den Verantwortlichen von Gewerkschaften und SPD sowie auch Merkel bewusst, dass sie Maßnahmen ergreifen müssen, um diesen gefährlichen sozialen Unruheherd zu entschärfen und ihn mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns „sozialverträglich“ zu gestalten.

So kommt es zur Einbindung der Gewerkschaftsführung in einen Akt staatlicher Lohnfestsetzung. Ein erstmaliger Akt in der gesamten Nachkriegsgeschichte, der mit dem im Grundgesetz verankerten demokratischen Prinzip der Tarifautonomie bricht, mit der die Existenz freier unabhängiger Gewerkschaften verbunden ist, und worin sich die Konsequenzen aus den Erfahrungen mit der faschistischen Diktatur konzentrieren.

Als „politisches Kriterium“ für die Festsetzung und Einführung eines Mindestlohnes (*) nennt Nahles die Vermeidung der „Gefährdung von Arbeitsplätzen“. Das aber heißt, die Anhebung der Lohnkosten durch den Mindestlohn darf nicht zu einer Gefährdung der Grundgesetze des Regierungsprogramms der Großen Koalition werden: der Schuldenbremse/Haushaltskonsolidierung und der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft.

Grundlage dieser vertrauensvollen Sozialpartnerschaft in Sachen Mindestlohn ist die Übereinstimmung, grundsätzlich diese beiden Agenda-Gesetze zu respektieren. Taktische Konflikte erlauben sie sich in der Frage, welche Ausnahmen es für den Mindestlohn geben soll.

Solche Konflikte z.B. über die Höhe des Mindestlohns beschäftigen zur Zeit selbst die Gewerkschaftsführungen untereinander. Während alle acht Vorstandsverantwortlichen der DGB-Gewerkschaften die Erhöhung des Mindestlohns von 8,50 Euro erst für 2017 beschlossen haben, fordert der ver.di-Vorsitzende Bsirske jetzt eine schnellere Steigerung schon nach der Einführung 2015.

Gemeinsam ist den „Sozialpartnern“ auch ihre Bereitschaft, nach „Kompensationen“ zu suchen. So ist z.B. Nahles bereit zur staatlichen Subventionierung des Mindestlohns für die Einstellung von Langzeitarbeitslosen. Natürlich finanziert durch den Griff in die Sozialkasse der Arbeitnehmer.

Die Unternehmer und öffentlichen Arbeitgeber wiederum machen Druck für eine noch systematischere Flucht aus den Flächentarifverträgen. Unter diesem Druck vergrößern die Gewerkschaftsführungen ihre Bereitschaft, für weitere Öffnungsklauseln in den Flächentarifverträgen zu sorgen und weitere Arbeitnehmergruppen aus ihnen auszugliedern.

Im gleichen Jahreswirtschaftsbericht setzt Gabriel eine politische Lohnleitlinie für die Tarifrunde 2014. Er weiß ebenso wie die Arbeitgeber und besonders auch die Gewerkschaftsführungen, dass Forderungen und der Kampf für eine kräftige Reallohnsteigerung nicht zu verhindern sind. Er „bietet“ den Gewerkschaften eine minimale Reallohnsteigerung in Orientierung an der Produktivitätssteigerung an: „Lohnhöhe und Produktivität müssen korrespondieren“, weil sonst „Arbeitsplätze gefährdet werden“.

Damit betont auch er das Gebot, dass die Lohnforderungen im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft auf keinen Fall den Anforderungen der Haushaltskonsolidierung und Wettbewerbsfähigkeit widersprechen dürfen. Und auch hier setzt Gabriel auf die vertrauensvolle Sozialpartnerschaft mit Arbeitgebern und Gewerkschaftsverantwortlichen, um dieser Gefahr durch Druck auf die Forderungen zu begegnen und vor allem für Kompensationen bei einer nicht abzuwehrende Reallohnsteigerung zu sorgen.

Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes (Bund und Kommunen) haben mit ihren Gewerkschaften eine kräftige Reallohnsteigerung als Hauptforderung beschlossen: 100 Euro Sockelanhebung plus 3,5%, was im Durchschnitt 6,7 % Lohnerhöhung bedeutet. Damit demonstrieren die Kollegen ihre feste Entschlossenheit, nach Jahren des Lohnverzichts und des Zurückfallens gegenüber der Tariflohnentwicklung in der Privatwirtschaft, für alle Beschäftigten und besonders die unteren Lohngruppen eine wirkliche Reallohnsteigerung zu erkämpfen.

Innenminister de Maizière für die Große Koalitionsregierung und die Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) setzen als öffentliche Arbeitgeber gegen diese Forderungen knallhart das Diktat der Haushaltskonsolidierung, erhöhen den Druck für Kompensationen gegen zu hohe Lohnergebnisse und drohen mit Privatisierungen und Streichung von Stellen und Leistungen. Damit setzen sie die Erpressungswerkzeuge ein, um die Gewerkschaftsführungen zu einer „verantwortlichen Tarifpolitik“, zur „sozialpartnerschaftlichen“ Regelung dieses Konflikts unter Respektierung der Anforderungen der Schuldenbremse zu zwingen.

Kein Zweifel, die vereinte Mobilisierung aller Beschäftigten durch ihre Gewerkschaften, die Einheit der Arbeitnehmer und ihrer Organisationen bis zum Schluss, schafft die Kraft für die Durchsetzung der Forderungen. Und für ihre Verteidigung gegen jede Form von Kompensation, von Öffnungsklauseln und des Herausbrechens von Kollegen aus dem gemeinsam erkämpften Ergebnis. Zu einem solchen Vertragsergebnis muss die Garantie gehören, dass die Arbeitgeber auf ihre angedrohten Maßnahmen der Privatisierungen etc. verzichten.

In der Diskussion auf der Arbeitnehmerkonferenz am 15. Februar in Berlin betonten die Teilnehmer ihre Entschlossenheit,

  • politisch gegenüber den öffentlichen Arbeitgebern einzugreifen gegen ein staatliches Lohndiktat im Namen der Schuldenbremse und für die Verteidigung des Rechts der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften auf Tarifforderungen, auf freie Tarifverhandlungen und auf die freie Entfaltung der gewerkschaftlich organisierten Streikbewegung;
  • sich an die SPD-Mitglieder, Verantwortlichen und Mandatsträger zu wenden, sich an die Seite der kämpfenden Kollegen und ihrer Gewerkschaften zu stellen und daran zu erinnern, dass die Mandatsträger nicht der Schuldenbremse verpflichtet sind, sondern den Forderungen der Arbeitnehmer und Jugend.

Es lag den Delegierten eine Erklärung zur Unterzeichnung vor, in der die Einmischung des Bundeswirtschaftsministers Gabriel in den Tarifkampf zurückgewiesen wird: „Kein Minister, keine Regierung hat das Recht und die demokratische Legitimation, sich in den Tarifkampf einzumischen. Wir akzeptieren keine Lohnleitlinie noch Vorschriften für die freien Tarifverhandlungen unserer unabhängigen Gewerkschaften. Erst Recht nicht von staatlicher Seite. Besonders nicht durch einen SPD-Minister.“

Carla Boulboullé

(*) Die Teilnehmer an der Arbeitnehmerkonferenz vom 15.2. waren sich einig, die Diskussion zur Frage des Mindestlohns in den Gewerkschaften und der SPD zu fördern.
Siehe dazu die Erklärung und Beiträge der Konferenz in der „Sozialen Politik & Demokratie“, Nr. 317 vom 27.2.2014, und den Beitrag in Nr. 313 vom 16.1.2014.


Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 317 vom 13. März 2014

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