Die massive Mobilisierung zum Mitgliedervotum der SPD

„Das Mitgliedervotum wird die SPD weit über diesen Tag hinaus prägen“: „Die Partei lebt!“…, so und mit ähnlichen Kommentaren konstatieren vor allem bürgerliche Medien mit Überraschung aber auch beunruhigt die Welle der Mobilisierung, die der Aufruf zum Mitgliedervotum in der SPD-Mitgliederbasis ausgelöst hat.

369.680 sozialdemokratische GenossInnen, d.h. 78 Prozent der 474.820 Mitglieder, haben sich an dem Mitgliedervotum beteiligt. Die Parteiführung unter Gabriel sieht sich mit der Tatsache konfrontiert, dass die Mitgliederbasis sich auch nach ihrer Erhebung für das Nein zum Gang der SPD in die Große Koalition weiter einmischt. Und sie ahnt, dass sie diese Einmischung nicht mehr loswerden wird.

Von denen, die sich beteiligt haben,  haben 76 % mit Ja gestimmt – das das  macht auf die SPD-Mitgliedschaft bezogen gerade 54 %.

Etwa 81.000 sagten Nein, fast ein Viertel der GenossInnen, die sich an dem Mitgliedervotum beteiligten. Darin drückt sich aus, dass auch der Propagandafeldzug der Parteiführung für das Ja zum Gang der SPD in die Große Koalition die breite Ablehnung durch die SPD-Basis und -Gliederungen nicht ersticken konnte.

Es ist nicht verwunderlich, dass die Parteiführung unter Gabriel – und mit voller Erleichterung auch Merkel sowie die bürgerlichen Medien – das mehrheitliche Ja der SPD-Mitgliedschaft in eine Zustimmung zu dem ausgehandelten Koalitionsvertrag und zur Großen Koalition ummünzt und feiert.

Die Erleichterung erfasst auch die ganze EU, alle europäischen Regierungen, die darauf setzen, dass unter der erneuten Kanzlerschaft Merkel die Euro-Rettungspolitik fortgesetzt werden kann.

Und doch mischt sich unter die triumphalen Töne verhalten die Sorge der SPD-Führung angesichts des Erwartungsdrucks, der sowohl von dem Nein als auch von dem vielfachen Ja ausgeht. Dem wirklichen Inhalt der Mobilisierung der Parteibasis können sie nicht entfliehen – und das wissen sie. Wird sich dieser „Sieg“ Gabriels nicht schon bald als Pyrrhussieg erweisen?

Wer kann ernsthaft daran glauben, dass die überwältigende Beteiligung der Mitglieder von einer Begeisterung für den Koalitionsvertrag und für die Große Koalition ausgelöst wurde?!

Die SPD-Führung konnte schon in den Wahlen die Mitglieder und Millionen Stammwähler der SPD nicht mit den im Wahlprogramm propagierten Versprechungen von „sozialdemokratischen Korrekturen“ und einem „Politikwechsel“ zur Wahl für die SPD mobilisieren. Versprechungen, die nun – wesentlich gerupft und noch trügerischer – im Koalitionsvertrag präsentiert wurden.

Mit ihrer Massenmobilisierung will die große Mehrheit der Mitgliedschaft ihre Partei, die SPD, stärken für den Kampf für „mehr sozialdemokratische Politik“, für „wirklichen Politikwechsel“ – gegen Merkel und die Union. Gegen die Fortsetzung der Politik der Regierung Merkel mit Unterstützung der SPD.

Das ist ihr Auftrag an die SPD-Vertreter in Bundestag und Regierung. Das war auch der Auftrag der 1,25 Millionen SPD-Wähler war, die die SPD in der Bundestagswahl 2013 von den 10 Millionen Stimmverweigerern 2009 zurückgewinnen konnte.

Sind dieser Auftrag und Wille nicht in allen letzten Wahlen wie in den gewerkschaftlichen Kämpfen der Arbeitnehmerinnen zu finden, die Schluss machen wollen

  • mit Tarifflucht, Lohndumping, mit Deregulierung und Prekarisierung im Namen der Wettbewerbsfähigkeit;
  • mit dem Kaputtsparen der Länder und Kommunen, der Öffentlichen Daseinsvorsorge im Namen der Schuldenbremse, um die Milliardenflutungen für die Bankenrettung zu finanzieren;
  • mit der Zwei-Klassen-Medizin und dem Kostendumping-Wettbewerb auf Kosten des Personals, der Versorgungsleistungen und Sachinvestitionen;
  • mit den Kürzungen der Rente, des Rentenniveaus, die immer mehr Menschen der Altersarmut ausliefert…

An diesem Auftrag werden sie die Politik der SPD-Führung in der Großen Koalition – und deren Begleitung durch die Gewerkschaftsführungen – prüfen, nicht nur die SPD-Mitgliederbasis, sondern auch die kämpfende Arbeiterschaft und Jugend.

Die Parteiführung wird nicht verhindern können, dass das Nein sich erneut in der Partei und bei den SPD-Bundestagsabgeordneten erheben wird, wenn sich die Politik der Großen Koalition schon bald, trotz aller punktuellen und trügerischen Korrekturen, als Fortsetzung der Euro-Rettungs- und Agenda-Politik erweist, die der Koalitionsvertrag für das künftige Regierungsprogramm der Großen Koalition definiert: „Konsequente Einhaltung der Schuldenbremse“ – „Wettbewerbsfähigkeit stärken“.

Ebenso wenig wird sie verhindern können, dass sich die Kämpfe der Arbeitnehmer und Jugend gegen diese Politik auf das Nein und den Auftrag der SPD-Basis stützen können:

  • z.B. die im Wesentlichen erfolgreiche monatelange Streikbewegung für die Verteidigung des Flächentarifvertragssystems und für Reallohnerhöhung für die drei Millionen Beschäftigten im Einzelhandel;
  • die schon Monate dauernden Streikaktionen bei Amazon, wo die Beschäftigten für einen Tarifvertrag und Lohnerhöhungen kämpfen, um sich aus prekären Arbeitsverhältnissen und vom Lohndumping zu befreien;
  • wie die zunehmenden Demonstrationen und gewerkschaftlichen Kämpfe gegen Tarifflucht, Armutslöhne und Prekarisierung – wie z.B. bei der PIN AG in Berlin;
  • oder wie die Widerstandsbewegung gegen die ruinöse Sparpolitik, gegen die z.B. die Beschäftigten und ihre Gewerkschaft ver.di in Berlin für das Nein der Abgeordneten zur Fortsetzung des Kaputtsparhaushaltes kämpfen.

Werden in diesen gewerkschaftlich organisierten Kämpfen auf der Grundlage der unabhängigen Forderungen der Arbeitnehmer nicht die wirklichen Korrekturen gegen die Agenda-Politik
erkämpft?

Gotthard Krupp


Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 312 vom 19. Dezember 2013

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