Kampf … oder Begleitung

In seiner Rede zum 1. Mai geißelt der DGB-Vorsitzende Michael Sommer die Politik der Regierung Merkel am Beispiel Griechenlands oder Zyperns, „wo die Troika im Auftrag des Kapitals und konservativer Regierungen Sozialabbau diktiert, Renten kürzen lässt, Mindestlöhne kappt, Arbeitnehmerrechte zerstört, aber die Reichen weitgehend ungeschoren lässt“. „Vom Kündigungsschutz über die Tarifautonomie  bis zum Streikrecht“ werden den Arbeitnehmern in Europa ihre Rechte geraubt.

„Dieser Kontinent darf nicht kaputt gespart werden“, warnt Sommer. Doch stellt sich für viele KollegInnen angesichts dieser Anklage die Frage, wo der mobilisierende Aufruf des DGB und seiner Einzelgewerkschaften zum Widerstand gegen diese mörderische Politik bleibt, für die sich Merkel als Vorreiterin profiliert und die ganze Völker ins soziale Elend treibt?

Das Nein des DGB, von ver.di und der GEW zum Fiskalpakt ist nicht vergessen. Doch warum verweigert die Gewerkschaftsführung jetzt das klare Nein zu dem sog. Hilfspaket für Zypern, das dem zyprischen Volk als Auflage einen grausamen Sozialkahlschlag diktiert?

Während die Arbeitnehmer mit ihren Gewerkschaften „überall auf unserem Kontinent“ für die Aufhebung der europäischen Verträge kämpfen, versucht Michael Sommer diesen Kampf gegen die Diktate der Troika unter der Aufforderung an die Regierung Merkel und die EU zu gemeinsamen Bemühungen für ein soziales Europa zu begraben.

Michael Sommer stellt fest: „Doch auch in unserem Land ist es nicht wirklich anders“. Er wettert zu Recht dagegen, dass „Leiharbeit, Armutslöhne, prekäre Beschäftigung gestiegen sind“, dass sich niemand täuschen solle, „Arbeit und Sozialstaat haben sie immer noch im Visier“.

Es geht dabei um die Fortsetzung der verschärften Agenda-Politik, die Merkel, unterstützt und „kritisch“ begleitet von der SPD-Führung, der arbeitenden Bevölkerung in Deutschland aufzwingt und in die sie die Gewerkschaften einbinden wollen.

Mit dieser Politik prallen die Kollegen zusammen, die wie in den jetzigen Tarifkämpfen gegen das Diktat der Schuldenbremse eine Reallohnsteigerung fordern, die alle Arbeitsplätze und Standorte wie bei Opel gegen die Entlassungen im Namen der „Wettbewerbsfähigkeit“ verteidigen wollen und dafür nach ihren Gewerkschaften zu greifen versuchen.

Doch sie machen immer wieder die Erfahrung, dass die Gewerkschaftsführungen grundsätzlich die Unausweichlichkeit von Schuldenbremse und Wettbewerbsfähigkeit akzeptieren, und in deren Namen Lohnzurückhaltung, die Zersetzung der Tarifverträge und Arbeitsplatzabbau zu lassen.

So konnten die Kollegen bei der Lufthansa zwar die Arbeitszeitverlängerung und Kürzungen beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld abwehren, wie die ver.di-Verhandlungsführerin betont. Doch der Streik wurde von ver.di beendet, ohne dass eine Absicherung – und schon gar keine Erhöhung – des Reallohnes erreicht wurde. Die geplanten Ausgründungen werden nicht nur akzeptiert, sondern für die Beschäftigten sollen neue Tarifstrukturen vereinbart werden, d.h. Öffnung zu weiteren Niedriglohn-Spartentarifen und weitere Zersetzung des Flächentarifvertrags. So lobt denn auch die Lufthansa den differenzierten Tarifabschluss als Beitrag zum Sparprogramm „Score“, das dem Konzern in den kommenden drei Jahren insgesamt 1,5 Mrd. Euro jährlich bringen soll.

So mussten die Kollegen erleben, dass die angestellten Lehrer alleingelassen wurden, als die ver.di-Führung unter Frank Bsirske im Tarifabschluss deren Forderungen fallen ließ, und denen z.B. in Berlin und NRW von den SPD-geführten Landesregierungen selbst die Verhandlung über die Tarifierung ihrer Eingruppierung verweigert wird. Den Beamten wird gerade auch in den Ländern, in denen die Regierungen die SPD an der Regierung beteiligt ist, die volle Übertragung des Tarifergebnisses verweigert, doch auch hier bleibt die Organisierung jedes gewerkschaftlichen Kampfes aus.

ver.di – selbst gefangen in den Zwängen der Schuldenbremse und Deregulierung – verzichtet auf den Kampf gegen dieses untragbare gewerkschaftsfeindliche Vorgehen.

In einem Affront gegen die Arbeiterbewegung und die von ihr erkämpften Errungenschaften wird das demokratische Grundrecht der Gewerkschaften auf freie Tarifverhandlungen und die Verbindlichkeit des Ergebnisses für alle Beschäftigten ausgehebelt und durch ein staatliches Lohndiktat ersetzt.

3 Millionen Beschäftigte im Einzelhandel und ihre Gewerkschaft ver.di erleben heute einen Generalangriff des Unternehmerverbandes HDE auf ihren Flächentarifvertrag. Auf dem Spiel steht die Zersetzung der gesamten Tarifstruktur. Über die Kündigung des Manteltarifvertrags wollen die Unternehmer die Flexibilisierung der Arbeitszeit, differenzierte Löhne, sowie die Streichung der Zuschläge für Spät- und Nachtarbeit durchsetzen. Ganze Schichten von Beschäftigten sollen aus den Tarifverträgen rausgeworfen werden. So ist die Globus-Gruppe mit bundesweit 32.000 Beschäftigten aus allen Tarifverträgen ausgestiegen, um damit die rechtlichen Voraussetzungen für Globus-spezifische Entgeltstrukturen zu entwickeln.

Michael Sommer, der trocken kommentiert: „Unsere Tarifkraft ist ungebrochen“, verliert am 1. Mai zu diesen aktuellen Herausforderungen an die Gewerkschaften kein Wort.

Die DGB-Führung orientiert dagegen auf dezentrale Aktionstage im Juni und direkt vor den Bundestagswahlen, verbunden mit der Forderung an die SPD und die Regierung Merkel nach „Nachkorrekturen“ im Rahmen der Agenda-Politik nach den Wahlen im September. D.h. in Erwartung eines Politwechsels durch Merkel und die SPD-Führung, die heute die Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte unter der Schuldenbremse und im Namen der Wettbewerbsfähigkeit zerstören und die das nach den Wahlen unter dem Druck der Krise und der europäischen Vertrage nur schlimmer fortsetzen werden.

Die arbeitende Bevölkerung will den radikalen politischen Kurswechsel. Doch das verlangt, sofort Schluss zu machen mit einer Strategie der hin und wieder auch lautstarken „kritischen“ Begleitung der Umsetzung der Politik der EU/Troika und der Regierung Merkel; mit der Unterwerfung unter die angeblich unausweichlichen Zwänge der Sparpolitik, der Politik der Prekarisierung und Deregulierung, die Merkel im Namen des doppelten Diktats von Schuldenbremse und Wettbewerbsfähigkeit umsetzt, unterstützt von dem SPD-Spitzenkandidaten Steinbrück und der SPD-Führung; einer Politik, die von den SPD-geführten Landesregierungen exekutiert wird.

Wirklich Schluss zu machen mit diesem zerstörerischen Kurs heißt, die Einheit der Arbeitnehmer und ihrer Organisationen im Kampf zu organisieren und alle Kandidaten der SPD, alle Kandidaten, die sich auf die  Vertretung der Interessen der Arbeitnehmer und Demokratie berufen, auf die Forderungen zu verpflichten:

  • Schluss mit der Sparpolitik, Aufhebung der Schuldenbremse;
  • Schluss mit Lohnverzicht und der Praxis der Tarifflucht, mit Prekarisierung und Arbeitsplatzvernichtung unter dem Diktat der Wettbewerbsfähigkeit;
  • Aufhebung der europäischen Verträge, die die Schuldenbremse und Deregulierung diktieren.

Carla Boulboullé


Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 298 vom 2. Mai 2013

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