Landtagswahlen in NRW

Landtagswahlen in NRW

Historische Rekord-Wahlverweigerung (44,5%)

Diese Ablehnung trifft das gesamte System der fünf etablierten Parteien,

konzentriert in der fortgesetzten Selbstzerstörung der neuen Scholz-SPD

Der wirkliche und einzige Sieger in dieser Wahl sind die 44,5% Wahlverweigerer. In dieser seit 1947 höchsten Wahlenthaltung drückt sich die Ablehnung aller fünf etablierten Parteien aus.

Mit 26,7 % verbucht die SPD ihr schlechtestes Ergebnis in der Nachkriegsgeschichte in NRW, ihrer traditionellen Hochburg. Im Ruhrgebiet, wo die SPD jahrzehntelang über absolute Mehrheiten verfügte, ist sie nach dem Absturz von 2017 mit weiteren Verlusten auf 33,7% abgesackt.

Die ehemalige Arbeiterpartei SPD, die sich auf die Stammwähler der Industriearbeiterschaft  stützte, ist tot, schrieben wir im Februar 2022 in einem Artikel zu den bevorstehenden NRW-Wahlen. Der jetzige Absturz in dem größten Bundesland mit über 13 Millionen Wahlberechtigten ist ein weiteres Zeugnis für den fortgesetzten Niedergang der neuen Scholz-SPD. Schon bei der Bundestagswahl musste Scholz sich im Wesentlichen auf die 2 Millionen Stimmen bisheriger CDU-Wähler stützen, die für ihn als Garant der Fortsetzung der Politik der Großen Koalition unter Merkel gestimmt haben (s. auch die Artikel in der „Sozialen Politik & Demokratie“, Nr. 377, Nr. 457 und Nr. 464).

Sechs Monate nach seiner Wahl zum Bundeskanzler wird die von Scholz geführte Ampel-Regierung von der gesellschaftlichen Mehrheit abgelehnt: für ihre Kriegswirtschaftspolitik; für die Verschuldungsmilliarden für Subventionen an die Konzerne; für die Chaos-Politik im angeblichen Kampf gegen die Pandemie; für eine Preisexplosion, die ganzen Schichten bis in die Industriearbeiterschaft hinein ihre Lebensqualität raubt; für die sozialzerstörerische Offensive gegen alle bisher noch verteidigten Errungenschaften des Sozialstaates.

Schon in den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein verbuchte die neue Scholz-SPD ein historisches Tief von 16 %. Bei seiner Rede auf der 1. Mai-Kundgebung in Düsseldorf wird Scholz ausgebuht. Jetzt, nach dem Absturz in den NRW-Landtagswahlen, droht der ohnehin schon destabilisierten Ampel-Regierung eine weitere Destabilisierung. Das von Scholz verkündete „sozialdemokratische Jahrzehnt“ ist schon zu Ende, bevor es begonnen hat. Dieser Scholz, der den traditionellen SPD-Namen benutzt, um die arbeiterfeindliche Agenda-Politik verschärft fortzusetzen und durch die historische Wende zur Kriegs- und Aufrüstungspolitik zu ergänzen, befördert den Verfallsprozess dieser Partei.

Weiterer Niedergang der CDU

Obwohl sich die CDU zu einem Sieger erklärte, signalisieren die NRW-Wahlen auch für sie den weiteren Niedergang. Der prozentuale Zuwachs für sie kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die CDU fast 250.000 Stimmen, d.h. mehr als jede zehnte gegenüber der Landtagswahl 2017, verloren hat. Soweit zu den beiden Hauptstützen des Systems der fünf etablierten Parteien der BRD.

Die AfD kann sich nicht mehr als Protestpartei gegenüber der Politik der fünf etablierten Agenda-Parteien aufspielen und hat in ihren Hochburgen bei den prekarisierten Schichten des Ruhrgebiets drastisch an Stimmen verloren.

Die Grünen hatten in den Landtagswahlen 2017 ihre Stimmen halbiert, als Quittung für die rot-grüne Regierung unter Hannelore Kraft (SPD), die eine Spur der sozialen Verwüstung hinterlassen hatte. Jetzt verdanken sie ihren Stimmenzuwachs auf über 18 Prozent, dass sie sich als Oppositionspartei in NRW präsentieren konnten. Dafür stützen sie sich besonders bei der Jugend auf die Illusion in eine „andere“ Politik durch die Grünen.

Viele, gerade aus dem politisch verunsicherten kleinbürgerlichen städtischen Milieu suchen so eine Möglichkeit – in Wirklichkeit vergeblich – , ihre Ablehnung gegenüber der Politik der beiden Hauptparteien äußern zu können.

Diese Illusion wird vor allem von dem persönlich-oberflächlichen Habitus eines Habeck gefördert, der als Wirtschaftsminister und Vizekanzler der Scholz-Regierung knallhart die Interessen des Kapitals, der Konzerne, bedient und schon zynisch die grün-ökologischen Belange dabei mit Füßen tritt.

Den Arbeitern der Pck Raffinerie in Schwedt verspricht  Robert Habeck betrügerisch „Jobsicherheit für die nächste Zeit“, während seine Energiepolitik und das Ölembargo die Raffinerie liquidieren werden. (s. auch Art. S.15). Schließlich prognostiziert er „drohende Massenarbeitslosigkeit“ als Folge des Krieges und der „Transformation“.

Unter der höchsten Inflation (7,4%) und Preisexplosion seit 40 Jahren geht die arbeitende Bevölkerung in die Knie und leiden vor allem alleinstehende Frauen, Rentner und Studenten. Habeck wagt es, sie zu einer „Energie-sparkampagne“ aufzufordern. Die Kosten der staatlichen Milliardenverschuldungen, um die Folgen des Krieges für die Wirtschaft „abzufedern“, werden auf die arbeitende Bevölkerung abgewälzt – das deutsche Volk wird einen „hohen Preis zahlen…“ erklärt Habeck in schonungsloser Offenheit. In der politischen Öffentlichkeit erhält er begeisterten Applaus Die meisten Unternehmer sind mit Habeck sehr zufrieden, kommentiert das Handelsblatt vom 13.April.

Die Illusionsblase für die Grünen wird zweifellos sehr bald platzen, wenn der Bevölkerung die ganze Rechnung für die Kriegswirtschaft und den Klima-Pakt mit Industrie und Wirtschaft präsentiert wird.

Auf Wahlebene konnte sich in NRW die massive Ablehnung der Politik der Scholz-Regierung, die von allen fünf etablierten Parteien auf Länderebene umgesetzt wird, nur in der hohen Wahlverweigerung, dem Absturz der SPD und der Absage an die NRW-Regierungsparteien, den Stimmenverlusten für die CDU und dem politischen Aus für die FDP, ausdrücken.

Doch in den historisch hohen Wahlenthaltungen zeigt sich: die gesellschaftliche Mehrheit in NRW hat von den Wahlen nichts erwartet. Egal in welcher Koalition die neue Regierung gebildet wird, ob Schwarz-Grün oder als Ampel, sie wird keine Regierung sein, die die arbeitende Bevölkerung und Jugend für die Erfüllung ihrer Forderungen braucht.

Die fünfte der etablierten Partei, die Linkspartei, ist da keine Ausnahme. Überall, wo sie im Land oder in der Kommune in der Regierungsverantwortung ist, setzt sie ebenfalls die Scholz-Politik um. Das erklärt ihr katastrophales Ergebnis von 2,1% (gegenüber 4,9% 2017) und das konnte auch Sahra Wagenknecht mit ihren politischen Positionen gegen die Parteiführung nicht verhindern. Die Linkspartei ist andererseits doch eine Ausnahme. Sie ist tief gespalten und Widerstandskräfte um Sahra Wagenknecht kämpfen auf allen Ebenen für die Verteidigung der „friedenspolitischen Grundsätze“ und ihres „sozialen Profils“ als Partei der „Interessen der Arbeitnehmer und Rentner“. Oskar Lafontaine sieht für diesen Kampf in der Linkspartei keine Möglichkeit mehr gegeben und ist aus der Partei ausgetreten. Er verdient jede Unterstützung bei seiner Suche nach weiteren Mitstreitern.

Ablehnung – Kämpfe, Streiks, Proteste

Die wütende Ablehnung einer Politik, die immer mehr Menschen der Verarmung, Entlassungen und sozialer Not ausliefert, die die Schulen und die Gesundheitsversorgung in die Katastrophe treibt, schafft sich in Kämpfen, Streiks und in Protestveranstaltungen Ausdruck.

Über 98% der ver.di-Mitglieder an den Uni-Kliniken in NRW haben in einer Urabstimmung Anfang Mai für den Streik für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Personal gestimmt. Am 4. Mai 2022 traten die Kolleg*innen der sechs Universitäts-Kliniken in einen Warnstreik. Der Streik wurde bis zum 26. Mai verlängert. Die Kolleg*innen an den Uni-Kliniken werden zum Vorreiter für die 90000 Beschäftigten, die in den NRW Krankenhäusern arbeiten. (s. Art. S. 5)

„Reallohnausgleich und mehr Fachpersonal“, das sind die Forderungen der streikenden Kolleg*innen in Kitas und der Sozialarbeiter*innen. Besonders NRW hat sich schon in der Wahlkampfzeit durch eine sehr hohe

Kampfbereitschaft ausgezeichnet. Allein am 28.4. versammelten sich 10.000 Beschäftigte zur Protestkundgebung.

Die Pläne der bisherigen CDU/FDP-Landesregierung, durch Schließung kleinerer Krankenhäuser Betten und Personal einzusparen, hat in NRW zu Widerstandskämpfen für den Erhalt der wohn-ortnahen Krankenhäuser und einer am Bedarf orientierten und voll vom Land finanzierten Gesundheitsversorgung geführt.

Im März streikten die Beschäftigten der Luftsicherheit an den Flughäfen in Köln und Düsseldorf… um nur einige Beispiele zu nennen.

Zahlreiche Eltern protestierten immer wieder gegen die Schulpolitik in NRW unter Verantwortung der FDP-Ministerin für Schule und Bildung, Y. Gebauer. Sie vor allem verantwortet den Absturz der FDP bei den Wahlen.

Die tiefe Ablehnung der Politik der etablierten Parteien durch die gesellschaftliche Mehrheit, für die jetzt die NRW-Wahlen zum Zeugnis wurden, unterstreicht: die arbeitende Bevölkerung und Jugend kann und will nicht auf ihre Forderungen, auf die Verteidigung ihrer sozialen Lebensgrundlagen verzichten.

Politisch und gewerkschaftlich engagierte Kolleg*innen aus NRW wollen an dem bundesweiten Treffen (per Video) am 25. Juni teilnehmen, um zu diskutieren, wie gemeinsam für den Aufbau einer politischen Widerstandskraft der Arbeiterschaft und Jugend im Kampf gegen den Krieg und die soziale Zerstörungsoffensive gehandelt werden kann. (Der Diskussionsbeitrag zur Einladung kann als Sonderdruck über die Redaktion bezogen werden).

Carla Boulboullé

 

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