Neue Regierung – schärfere Angriffe – härtere Widerstandskämpfe

Seit Wochen wird die Bevölkerung von dem noch Bundesgesundheitsminister Spahn und dem RKI mit Katastrophenszenarien über einen „fulminanten Verlauf“ der 4. Corona-Welle überflutet.

In dieser Situation präsentiert die künftige Regierung von SPD, Grüne und FDP, noch nicht im Amt, einen Corona-Gesetzentwurf „zur angemessenen und entschlossenen Bekämpfung von Corona“(!).

Während der Corona-Pandemie wurden 3000 Intensivbetten (DIVI) wegen fehlenden Personals gesperrt, auf den Intensivstationen waren die Betten während der ganzen Pandemie nicht so knapp wie jetzt. Viele Krankenhäuser steuern auf eine Belastungsgrenze zu. Ärzte warnen vor einem Kollaps des Gesundheitssystems. Die Flucht des völlig überlasteten Personals aus den Krankenhäusern setzt sich fort,

Nach Angaben des  Deutschen Krankenhausinstitut (DKI), haben 72 Prozent der befragten Kliniken weniger Pflegepersonal zur Verfügung als noch Ende 2020.  Aus Personalnot wird in Gesundheitsämtern wieder Bundeswehr eingesetzt.

Zu dieser dramatischen Situation findet sich in dem Gesetzentwurf der Ampel-Koalitionäre zur „entschlossenen Bekämpfung von Corona“ kein Wort; kein Wort zur Finanzierung von mehr Personal und Verbesserung der Arbeitsbedingungen, kein Wort zu der Ausfinanzierung des riesigen Investitionsrückstand von 30 Milliarden Euro in den Krankenhäusern (DGB), kein Wort dazu, dass Schluss gemacht werden soll mit der Privatisierung und Schließung von Kliniken, mit dem Bettenabbau. Es ist die Verweigerung der Wiederherstellung eines kaputtgesparten Gesundheitssystems, durch das die epidemische Ausbreitung des Virus erst gefördert wurde.

Nein, nach dem Willen der zukünftigen Ampel-Regierung unter Scholz, der schon über Jahre als Finanzminister der GroKo mitverantwortlich war für die Zerrüttung des Gesundheitssystems, soll bis Ende März 2022 eine viermonatige Übergangslösung gelten, in der die Bundesländer je nach Infektions-Lage, eigenständig, alle weiteren freiheitseinschränkenden  Corona-Maßnahmen umsetzen können.

Investitionsprogramm für Konzerne und Banken

Während kaum ein Cent aus dem Bundeshaushalt in die Gesundheitsversorgung fließt, halten die Koalitionäre fest an den 550 Milliarden Euro für ein „Investitionsprogramm“ (50 Mrd. jährlich) für das Kapital – und das nach dem Billionen-Wumms, der schon teuer bezahlt wurde mit tiefen sozialen Einschnitten für die arbeitende Bevölkerung. Während die Industrie diesen Umbau „begeistert“ (Tagesspiegel, 23.10.) mitträgt, macht der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) klar, dass das dem Kapital nicht reichen wird. Er fordert ein 860 Milliarden- Projekt, d.h. jährlich statt 50 Mrd. 1000 Mrd. für den „grünen Umbau“ (Infrastrukturoffen-sive!).

Dabei muss der Staat (so der BDI) einen erheblichen Teil zur Unterstützung des Umbaus übernehmen, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu erhalten, d.h. zusätzliche Ausgaben für die öffentliche Hand von 47 – 50 Mrd. Euro (von 2021 bis 2030 ein Betrag zwischen 230 und 280 Mrd. Euro). Und Mehrinvestitionen bis 2050 bis zu 2,3 Bio Euro (Privat und öffentlich)

Es gibt auch Finanzierungsvorschläge: z.B. Erhöhung der Mehrwertsteuer, die vor allem die große Masse der arbeitenden Bevölkerung bezahlt. Verkauf der Staatsanteile an Post und Telekom, d.h. endgültiger Vollzug der Privatisierung (die Aktien bringen ca. 40 Mrd. Euro).

Massiver Arbeitsplatzabbau…

Die sich neubildende Bundesregierung, die im Namen der Modernisierung, der Digitalisierung und des Klimawandels Milliardenprogramme für die Konzerne auflegt, ist gleichzeitig konfrontiert mit einer Schrumpfung der bisher in Deutschland starken industriellen Produktion, die die materielle Grundlage für die sozialstaatlichen Errungenschaften bildet. Allein in der Autoindustrie, wo schon jetzt z.B. bei Daimler, VW und BMW der Abbau zigtausender Stellen begonnen hat, ist der weitere Abbau von rund 178.000 Arbeitsplätzen geplant. (IFO-Institut). Im Zuge des Kohleausstiegs sind in Mitteldeutschland 40.000 Arbeitsplätze betroffen.

… Preisexplosion und drohende Verarmung von Millionen

Die sozialen Kosten der Energiewende werden auf die gesellschaftliche Mehrheit abgewälzt. So ist eine zentrale Säule der Klimapolitik der steile Preisanstieg bei Kohle, Öl und Gas, da über die Erhöhung des CO2-Preises der Verbrauch und damit die Emissionen gesenkt werden sollen. Der Preis für Erdgas hat sich verdreifacht. Die Strompreise haben sich verdoppelt und sind damit  in Deutschland auf einen Rekordwert geklettert. Die steigenden Energiepreise treiben die Inflation an, die damit verbundene allgemeine Verteuerung droht zu sozialem Sprengstoff zu werden.

Aber diese sich neu bildende Regierung unter Scholz wird mit ihrer Politik der Milliarden-Förderungen der Konzerne und Banken zum Preis der Angriffe auf alle seit 1945 erkämpften sozialen Errungenschaften heftige Widerstandskämpfe provozieren.

Bundes- wie Landesregierungen wissen, dass sie, um ihre sozial-zerstörerische Politik durchsetzen zu können, die Einbindung der DGB-Gewerkschaften brauchen. Deren Führungen spielen (im Rahmen der politischen Mitbestimmung) die entscheidende Rolle für die Unterstützung einer Regierungspolitik, die im Namen der Verteidigung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft die schlimmsten Angriffe gegen die Errungenschaften der Arbeiterschaft organisiert und plant. So sieht die DGB-Führung bei aller vorsichtiger „Kritik“ einzelner Punkte der Sondierungsergebnisse der Ampel-Koalitionäre darin eine „beachtliche Grundlage“, um Klimawandel und Digitalisierung „sozial gerecht“ zu gestalten.

Um über diese sich neu entwickelnde Situation und das politische Eingreifen darin zu diskutieren, laden die im Politischen Arbeitskreis in Berlin versammelten gewerkschaftlichen und politischen Arbeiterkämpfer ein zu einer Arbeitnehmerkonferenz am 20.November 2021.

Dazu zitieren wir aus der Einladung:

(…) Aufschwung gewerkschaftlicher Kampfbewegungen

In allen letzten Tarifabschlüssen (wie bei der GDL oder beim Bau, den Berliner Verkehrsbetrieben, in der Tarifrunde ÖD Hessen, im Einzelhandel…) haben die Gewerkschaftsführungen einem Abschluss zugestimmt, der die Beschäftigten mit Reallohnverlust abspeist und große Teile der Verarmung ausliefert, gefördert von Inflation und Preisexplosion.

Diese Politik der Gewerkschaftsführungen richtet sich frontal gegen die Kampfbereitschaft der Kolleg*innen, die sich zur Verteidigung ihrer Lebensqualität für Tarifkämpfe und Streiks von neuer Härte mobilisieren.

„Keine Entlassung im Namen der Transformation“. 50.000 Metaller*innen gehen am 30.Oktober bundesweit auf die Straße für die Verteidigung der Arbeitsplätze und Produktion.

Der 120-Stunden dauernde Streik der GDL war der zweitlängste Streik in der Geschichte der Deutschen Bahn AG;

im Einzelhandel haben die Beschäftigten sechs Monate bundesweit für eine Reallohnerhöhung gekämpft und massiv gestreikt;

in der Tarifrunde Öffentlicher Dienst der Länder demonstrieren die Kolleg*innen ihre Streikbereitschaft im Kampf für eine „wirkliche Reallohnerhöhung“, für bessere Arbeitsbedingungen, sprich mehr Personal.

43 Tage streikten die Kolleg*innen von Vivantes und Charité in Berlin vereint für „mehr Personal“ und „TVöD für alle“ – und damit „für Rückführung der ausgegliederten Bereiche“. Gegen die allgemeine Verschlechterung haben sie einen ersten Durchbruch erzielt: tarifliche Vereinbarung über Einstellung von mehr Personal und Reallohnerhöhung in Anbindung an den TVöD, finanziert von der Landesregierung. Der mit großer Entschlossenheit von den Kolleg*innen von Charité und Vivantes und mit bundesweiter Resonanz geführte Streik bricht beispielhaft mit dem „Historischen Kompromiss zwischen Kapital und Arbeit“ von 1952, der solche „nicht tariffähigen Forderungen“ unter Streikverbot stellt.

In der Metallindustrie nehmen die Kämpfe – bis hin zu Streiks – gegen Arbeitsplatzabbau und Produktionsverlagerungen zu – wie bei Daimler in Berlin im Dezember 2020, bei Conti Regensburg im September 2020 und in Hessen 20/21…, ein Schritt zur Aneignung des uneingeschränkten Streikrechts, auch gegen Unternehmerentscheidungen wie Entlassungen und Betriebsschließungen. Aktuell kämpfen in Eisenach die Arbeiter bei Opel, die noch bis mindestens Anfang 2022 in Kurzarbeit sind, um ihre Arbeitsplätze. Alle Opel-Arbeiter stehen z.Z. im Existenzkampf gegen die Pläne zur Zerschlagung des gesamten Konzerns.

Doch die hohe Kampfbereitschaft und die Streiks der Kolleg*innen werden von einer Gewerkschaftsführung ausgebremst, die alle zu Streiks für „Sozialtarifverträge“ umbiegt, d.h. für eine „sozialverträgliche“ Gestaltung (z.B. durch Abfindungen) der Arbeitsplatzvernichtung und Betriebsschließungen.

Ihre Politik provoziert eine neue Etappe in den Klassenkämpfen

Auch außerhalb des Rahmens der Gewerkschaften nehmen die spontanen Demonstrationen zu:

  • Gegen Mietwucher und Wohnungsnot – gegen die Auslieferung des Wohnungsmarktes an die Gier der Immobilienhaie und Finanzspekulanten. Über 1 Million Berliner, 56,4%, stimmten für die Enteignung der großen Wohnungskonzerne.
  • Gegen das Kaputtsparen des Bildungswesens– für mehr Lehrer und kleine Klassen an den Schulen.
  • Die Massendemos von Fridays for Future für die Verteidigung der natürlichen Umwelt gegen die Profitgier der Konzerne und Finanzspekulanten.
  • Die Proteste der Soloselbständigen und Kleinstbetriebe gegen den sozialen Absturz; sowie der Honorarlehrkräfte gegen Niedrighonorarsätze und mangelnde soziale Absicherung für das Alter und bei Einnahmenausfällen.
  • Die Demos und Kundgebungen gegen die Freiheitseinschränkungen durch Notverordnungsregimes und durch Polizei- und Anti-Versammlungsgesetze (wie in NRW und Sachsen)

 Welche politische Perspektive?

Die sich neu bildende Regierung wird mit der Fortsetzung und Verschärfung der politischen und sozialen Zerstörungspolitik als einer Agenda 2.0 noch heftigere Widerstandskämpfe provozieren. Werden die zu einer politischen Zentralisierung finden, um endlich Schluss zu machen mit dieser Politik auch durch die neue Regierung, für einen konsequenten politischen Kurswechsel, für eine Politik und Regierung zur Verteidigung und Wiederherstellung der historischen Errungenschaften des Sozialstaates?

Über die hier aufgeworfenen Fragen und Positionen und unsere Kampferfahrungen sowie über die sich neu entwickelnde Situation und das Eingreifen darin wollen wir auf der Arbeitnehmerkonferenz diskutieren.

 Carla Boulboullé

Berliner Arbeitnehmer*innen-Konferenz

Verteidigung und Wiederherstellung der sozialstaatlichen Errungenschaften

Am 20. November 2021 von 11-14 Uhr

Weitere Informationen und verpflichtende Anmeldungen über die Redaktion bzw. über GotthardKrupp@t-online.de

 

Comments are closed.