Verfall der parlamentarischen Demokratie

Die Unions-Parteien CDU/CSU liegen nach letzten Umfragen bei 22%, die CSU erreicht mit nur noch 28 Prozent ihr historisches Tief. Nach Jahrzehnten Regierungsführung durch die Union ist jetzt eine Regierung ohne sie möglich.

Nach dem Selbstzerstörungsprozess der SPD, der ehemaligen traditionellen Arbeiterpartei nun also der Niedergang der christlichen Union, CDU/CSU, der Hauptpartei der deutschen Bourgeoisie. Darin konzentriert sich der Verfall der parlamentarischen Demokratie der BRD, die seit ihrer Konstituierung in der Nachkriegszeit ihre politische Stabilität dem Wechselspiel von Regierungs- und Oppositionszeiten dieser beiden Parteien verdankt.

Als Hauptpartei der Bourgeoisie nimmt die Union zugleich die Rolle der dominierenden Staatspartei an. Deren Niedergang in dieser End- und Niedergangsphase der GroKo löst die Panik aller Parteienvertreter oder der von ihnen Abhängigen in politischen Herrschafts- und Mandatspositionen aus. Bei schlechtem Wahlausgang müssen sie um ihre üppigen und vielgestaltigen staatlichen Privilegien, Lobbyzuwendungen und Nebenverdienste fürchten.

Das betrifft im Wesentlichen die Vielzahl der Abgeordneten in Bund und Ländern, bis in die Kommunen, sowie das wachsende Heer der Ministerialbürokratie. Beide nehmen eine Schlüsselstellung ein für die Herrschaft des Lobbysumpfes bei den Entscheidungen über Gesetzesinitiativen und von Regierungsmaßnahmen aller Art.

Auch wenn die Forderungen des Volkes heuchlerisch „berücksichtigt“ werden müssen, so bestimmen doch die Interessen des Kapitals direkt die Regierungstätigkeit und indirekt, über ihre Lobby-Vertretung, die Entscheidungen der Ministerialbürokratie, sowie der Abgeordneten.

Die Wahl am 26.9. droht zum Auslöser für den endgültigen Zusammenbruch dieses seit Jahren verfaulenden, korrupten politischen Herrschaftssystems der parlamentarischen Demokratie zu werden. Das ist ihre historische Bedeutung.

Eines politischen Systems, das zunehmend geprägt ist von Korruption, der Häufung von Skandalen, von mafiaähnlichen Bereicherungen, schamlosen Bestechungen…, in der Ministerialbürokratie bis hin zu den Abgeordneten.

Auf den Weg in die Präsidialrepublik

Eine besondere Stellung in diesem politischen System der BRD nimmt die Ministerialbürokratie ein, ein größer und größer werdender Regierungsapparat, der Milliarden an Steuergeldern verschlingt. Die Bundesregierung hat unter der Führung von Merkel Tausende neuer Stellen in den Ministerien geschaffen.  Allein das  Kanzleramt umfasst 750 Ministerialdirigenten, Regierungsdirektoren, Staatssekretäre und Untergebene (März 2021). „(…) Völlig unbeachtet blieb darüber jedoch die politische Dimension(..): Mit seinem ständigen Mitarbeiterwachstum verschiebt das Bundeskanzleramt die fein austarierten Gewichte des parlamentarischen Regierungssystems – und erobert sich eine Stellung, die man sonst nur von Präsidialregierungen kennt.“ (O. Weber: „Ab in die Präsidialrepublik“, in die Zeit 29.3.21)

Ohne zu übertreiben muss man feststellen, dass über diese zunehmende Stärkung des Regierungsapparats, auf Kosten der Macht der Legislative, die nicht über solchen personellen Stab verfügt, das Aus für die parlamentarische Demokratie eingeläutet wird. Die meisten Gesetzesentwürfe werden von der Bundesregierung im Parlament eingebracht. Die Entwürfe werden von den Ministerien erarbeitet. Hier aber breitet sich der Sumpf der Lobbyarbeit aus, der bis ins Parlament zu den Abgeordneten reicht (s.unten).

Im Interesse der Wirtschaft, deren Anforderungen in der weltweiten Krise immer unerbittlicher werden, wird der Staat abgeschöpft, wobei die CDU als Dauerregierungspartei mit dezidierter Wirtschaftsnähe einen herausragenden Platz einnimmt. Als „ Speerspitze der Erneuerung in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik,“ präsentiert sich der CDU-Wirtschaftsrat, ein Lobbyverband mit Sitz im Parteivorstand der CDU, dessen Vizepräsident F. Merz ist:  „Die Mitglieder des Wirtschaftsrates wissen, dass sie die Gestaltung der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nicht allein der Politik überlassen dürfen. (…) Wir führen den Dialog mit den Verantwortlichen in den Parlamenten und Regierungen und geben Impulse für politische Entscheidungen“.

Beispiel  Automobilbranche: ein enges Zusammenspiel zwischen Konzernen und Ministerien

Ein herausragendes Beispiel für eine gut geführte Lobbyarbeit bietet die Autoindustrie. Beim Autogipfel im August 2020 versprechen Kanzlerin Merkel und Finanzminister Scholz im Namen der „Transformation“ der Autoindustrie, dass der «Zukunftsfonds» mit einem Volumen von einer Milliarde Euro bis 2025 jetzt startklar sei. In den vergangenen Jahren konnte die Autoindustrie u.a. mit der Abwrackprämie, sowie mit einem milliardenschweren „Zukunftsfonds“ für mehr Elektromobilität und Digitalisierung für Fahrzeughersteller und Zulieferindustrie bis 2026 massive staatliche Subventionen abzocken. „Warum muss der Umbau der Branche von Staat gefördert werden?“, fragt die SZ (7.9.21) Allein BMW, Daimler und VW verbuchten im ersten Halbjahr dieses Jahres mit über 30 Mrd. Euro einen Rekordgewinn, während 10.000e von Stellen abgebaut werden.

Tesla soll für seine geplante Batteriezellen-Fabrik in Grünheide mit einem einstelligen Milliardenbetrag gefördert werden. Tesla ist ein US-Konzern, der mit allen arbeitsrechtlichen sowie tariflichen Errungenschaften aufräumen und keine Gewerkschaft zulassen will. Arbeitsverträge werden jeweils individuell und willkürlich abgeschlossen.

 Die CSU, die extremste Form einer führenden Staatspartei.

Die CSU, die über Jahrzehnte eine Alleinregierung in Bayern gestellt hat, ist mit nur noch 28 Prozent in ein historisches Tief gestürzt. Sie wird erschüttert von heftigen Skandalen, sei es in der Masken-Affäre, die zum Symbol dafür geworden ist, wie weit die Korruption bis in die Regierung (erinnert sei an Spahn) reicht. In der Maskenaffäre hat sich z.B. der  CSU-MdL Sauter, bekannt als wichtigster Ratgeber von Ministerpräsident Söder und einer der einflussreichsten Strategen der CSU, seine „politischen Kontakte „versilbern“ lassen. Sei es in der kürzlich bekannt gewordenen Affäre des MdL Weidenbusch, ebenfalls ein Vertrauter Söders, der zu den mehr als 500.000 Euro, die ein Abgeordneter in einer 5-jährigen Wahlperiode verdient, noch knapp 430.00 Euro für seine „Dienste von der Bayrischen Landesbank kassiert hat.

Als besonders ausgebuffter Lobby-Minister für die Autokonzerne hat sich Verkehrsminister Scheuer (CSU) bewährt, der die Bahn einem Kaputtsparprogramm ausgeliefert hat, zugunsten milliardenstarker staatlicher Subventionierung und Förderung der Autoindustrie und des Ausbaus der Autobahnen durch Privatfirmen. (s. auch Soziale Politik & Demokratie, Nr. 454, „GDL-Streik“).

„Operation Abendsonne“

Angesichts des drohenden Sturzes von Bundesverkehrsminister Scheuer nach der Wahl wollen Mitarbeiter in dessen Umfeld, sich noch vor der Wahl neue Posten sichern. „Von einem „Verschiebebahnhof“ ist im Ministerium die Rede. „Wichtige Leute aus dem Leitungsbereich bringen sich in Sicherheit, solange sie sich die Stellen noch aussuchen können.“ (Handelsblatt, 23.8.21)

Allerdings ist dieser „Verschiebe-bahnhof“ Praxis auch in anderen Bundesländern und vor allem auf Bundesebene. So schafft die GroKo Merkel/Scholz vor der Wahl noch schnell 71 neue hochbezahlte Stellen, um die Getreuen großzügig zu versorgen, zumal bei immer mehr Politikern von CDU, CSU und SPD die Zukunft nach den Wahlen unsicher ist.

 Das neue Lobbyregistergesetz

Ende März verabschiedete die GroKo-Mehrheit im Bundestag als „Antwort“ auf den sich ausweitenden Lobby-Sumpf ein  Lobbyregistergesetz. Zu den u.a. von Lobbycontroll kritisierten „fragwürdigen, teils faulen Kompromissen“ gehört zweifellos, dass Lobbyistenkontakte auf Referatsebene der Ministerien nicht öffentlich gemacht werden müssen (!), wo aber die meisten Gesetzentwürfe entstehen. Die Wirtschaft wird das mit Erleichterung registrieren.

Dieses Gesetz wird sich als zahnloser Tiger erweisen in einem System, das auf allen Ebenen die Korruption begünstigt. Die Abgeordneten haben sich zu einer privilegierten politischen Kaste entwickelt. Fast jedes dritte Mitglied im Bundestag hat etwas hinzuverdient. Mehr als 35 Millionen Euro haben Parlamentarier*innen seit der Wahl an Nebeneinkünften gemeldet, die sie neben ihrer monatlichen Diät in Höhe von über 10.000 Euro bezogen haben. Es könnte aber sehr viel mehr sein – denn die tatsächlichen Einkünfte sind nicht nachvollziehbar (nach Recherchen von abgeordnetenwatch.de und SPIEGEL). Zahlreiche Parlamentarier erhalten neben ihren Diäten großzügige Zulagen und nähren sich von der Plünderung der Staatspfründe. So bezuschussten im Jahr 2019 die Bundestagsfraktionen Abgeordnete in besonderer Funktion mit knapp 4,5 Millionen Euro, beispielsweise Parlamentarische Geschäftsführer, Fachpolitiker oder Arbeitsgruppensprecher. (abgeordnetenwatch)

Diese Abschöpfung des Staates unter dem Deckmantel der parlamentarischen Demokratie erstickt jede demokratische parlamentarische Kontrolle durch den eigentlichen Souverän, das Volk.

Es lohnt sich, an die Lehren der Pariser Kommune von 1871 zu erinnern, zu denen die Begrenzung der Löhne von Abgeordneten und Beamten und die jederzeitige
Wähl- und Abwählbarkeit der Mandatsträger (imperatives Mandat) gehörte.

Die Endphase der GroKo ist bestimmt von der Implosion des nach 1945 gegründeten politischen Herrschaftssystems, das die BRD die gesamte Nachkriegszeit über geprägt hat, und das seinen aktuellen Ausdruck im politischen Verfall der Parteiendemokratie, der parlamentarischen Demokratie findet.

Wenn der Widerstand, die Vielzahl der Demonstrationen und Streiks, zum Ausdruck bringen wollen, dass Schluss gemacht werden muss mit der sozialen und politischen Zerstörungspolitik, so muss auch Schluss gemacht werden mit dem korrupten und verfallenden politischen Herrschaftssystem unter dem betrügerischen Etikett der parlamentarischen Demokratie.

Carla Boulboullé

 

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