Nach Sachsen-Anhalt: Vor den Wahlen im September

Nach einer Serie von Landtagswahlen konzentriert der 26. September zwei weitere Landtagswahlen und die Wahl zum Bundestag

Der Unmut und die Ablehnung in der Bevölkerung gegenüber der Politik der etablierten Parteien haben in der Destabilisierung des Parteiensystems auch in den Wahlen in Sachsen-Anhalt ihren Ausdruck gefunden.

Obwohl die Medien und politisch Verantwortliche besonders der CDU in dem Stimmenzuwachs für die CDU einen „Test“ für die Bundestagswahl am 26. September ausmachen wollen, kann man an diesen Wahl keinen Testcharakter zusprechen. Der Stimmenzuwachs für die CDU ist allein der regionalen Besonderheit, der starken Position von Haseloff zu danken (das erinnert an die Wahl von Malu-Dreyer in Rheinland-Pfalz im März 2021). Haseloff präsentiert für die Wähler, gerade für die überdurchschnittlich vielen Beschäftigten in prekären Verhältnissen, eine noch fortdauernde Stabilität und Verzögerung der Katastrophe zumindest bis zu den September-Neuwahlen.

Eine große Bedeutung kommt der Kampagne der CDU – im Konsens mit allen etablierten Parteien – zu, mit der Konzentration der Stimmen auf Haseloff, um zu verhindern, dass die AfD Regierungsstärke erlangt. So hatten von den Kampagnen „alle vereint gegen rechts“ gegen die drohende AfD-Gefahr in den vorhergehenden Wahlen ebenfalls jeweils die amtierenden Ministerpräsidenten profitiert (Sachsen: Kretschmer, CDU; Thüringen: Ramelow, Die Linke und in Brandenburg: Woidke, SPD). Die CDU konnte nicht nur 37.000 Stimmen der Nichtwähler mobilisieren, sondern auch 15000 Stimmen von der SPD, 14.000 der Linken und 16.000 der AfD für sich verbuchen. Erwähnenswert ist allerdings auch, dass es gerade mal 22% der Wahlberechtigten waren, die für die CDU an die Urne gegangen sind.

Das Wahlergebnis zeigt, dass es falsch wäre von einem „Rechtsruck“ zu sprechen. Es ist die Ablehnung der etablierten Agenda-Parteien und –Politik, die es der AfD erlaubt, einen stabilen Anteil von Proteststimmen auf sich zu vereinen, und es war die das All-Parteien-Bündnis für ein „Bollwerk gegen rechts“, das der CDU zu einer Stimmen-Mehrheit verholfen hat.

Die SPD verbuchte mit 8,4% und dem Verlust von 29.900 Stimmen (gegenüber dem schon dramatischen Ergebnis von 12,6 % 2016) einen drastischen Einbruch, eines ihrer schlechtesten Ergebnisse in der Nachkriegszeit. Die Linke erlebt den stärksten Einbruch mit 5,3% (ein Minus von  fast 66.400 Stimmen) und verliert als „Protestpartei“ im Osten Deutschlands weiter an Boden.

Sachsen-Anhalt hat von den ostdeutschen Ländern nach der Wende am stärksten unter dem Ausverkauf des Landes an die kapitalistischen Konzerne, der Zerstörung der Industrie gelitten, riesige Kombinate wurden plattgewalzt. Vom Maschinenbau in Magdeburg und den Chemieunternehmen um Halle und Bitterfeld blieben nur Ruinen. Die auf ihnen mit Milliarden staatlicher Subventionen errichteten neuen „industriellen Leuchttürme“ beschäftigen als Töchter der Westkonzerne nur ein Bruchteil der ehemaligen Belegschaften. Die strukturelle Arbeitslosigkeit stieg auf 40 %. In den letzten 30 Jahren hat die Bevölkerung durch Abwanderung um ca. 30 % abgenommen und sie schrumpft auch heute noch weiter. (DGB)

Diese Politik der CDU-FDP-Regierungen nach der Wende, verbunden mit der zerstörerischen Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge, hat 1994 zuerst eine SPD-Grüne-Regierung unter Höppner an die Macht verholfen und 1998 – 2002 der SPD-Alleinregierung. Mit den Auswirkungen der arbeiterfeindlichen Politik der sozialen Demontage unter der von Schröder geführten Bundesregierung beginnt der Absturz der SPD auch in Sachsen-Anhalt.

Sachsen-Anhalt hatte jahrelang mit bis zu über 20% eine Spitzenposition in der Arbeitslosenquote. Heute liegt sie bei 7,5% (deutschlandweit bei 5,9%) ein Wert, mit dem sich Haseloff gern brüstet. Doch was er verschweigt: jeder dritte Beschäftigte arbeitet im Niedriglohnsektor (d.i. weit über dem Bundesdurchschnitt). Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung schrumpfte von ca. 923.00 im Jahr 1999 auf ca. 856.00 im Jahr 2020. Die Pendlerquote (vor allem nach West) liegt bei 16,5%. Der Durchschnittsverdienst liegt unter dem Bundesdurchschnitt, bei längerer Arbeitszeit in Vollzeit. (DGB). Es gibt immer wieder Protestbewegungen gegen die Privatisierung von Krankenhäusern (wie das Klinikum Havelberg) durch die CDU/SPD/Grüne-Regierung unter Haseloff, gegen Lehrermangel und Unterrichtsausfall.

Dass ein Teil des Protestes gegen diese Politik sich in den Stimmen für die AfD ausdrückt, missbraucht der Ostbeauftragte (CDU) der Bundesregierung, Wanderwitz,  für Hassausfälle gegen die Ostdeutschen: „Wir haben es mit Menschen zu tun, die teilweise in einer Form diktatursozialisiert sind, dass sie auch nach dreißig Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind“. Das greift die bürgerliche Presse zustimmend auf, um über die wachsende Ablehnung der Agenda-Politik, die auch in Sachsen Anhalt unter schwarz-grün-rot umgesetzt und „sozial-kritisch“ von den Linken mitgetragen wurde, hinwegzutäuschen. Selbst Die Linke greift diese betrügerische Denunziation der Ablehnung der Politik in Sachsen-Anhalt auf, um ihr Wahl- Desaster weg zu retuschieren. Wie schon die vorherigen dramatischen Verluste in den Landtagswahlen von Brandenburg und Sachsen. Folglich beschimpfte die Ko-Vorsitzende der Linken, Hennig-Wellsow, die Wähler: es war »kein erfolgreiches Pflaster für die Politik der Linken«, es gebe einfach »eine Mehrheit von extrem rechten und konservativen Kräften« in Sachsen-Anhalt (Junge Welt, 8. 6. 2021)

Die Stimmengewinne für die CDU, die sie den besonderen Bedingungen in dieser regionalen Wahl verdankt, können nicht den Niedergang der CDU kaschieren, die in allen letzten Landtagswahlen seit 2019, im Osten z.T. dramatisch, verloren hat. Die gesamte politische Situation ist zugleich geprägt von dem fortgesetzten Zerstörungsprozess der SPD. Die Grünen leben in einer Illusionsblase, die in Sachsen-Anhalt schon an Luft verloren hat. Sie wird spätestens platzen, wenn diese mit ihrem politischen Programm zum Klimaschutz, das die Bevölkerung u.a. mit explodierenden Strompreisen bezahlen muss, während die Konzerne mit Milliarden für die „Transformation“ gefördert werden sollen, in eine neu entstehende Regierung eintreten sollten.

Auf jeden Fall ist die mit den Wahlen im September neu entstehende Bundesregierung – welcher Couleur auch immer – mit der Aufgabe konfrontiert, im schärfsten Zusammenprall mit der gesellschaftlichen Mehrheit, der arbeitenden Bevölkerung und Jugend, das Diktat der Krisenanforderungen des Kapitals mit einer brutalen Offensive umzusetzen: Zur Abwälzung der 100e-Milliarden Verschuldung für die bisherige Flutung der Konzerne und Banken, wie für die 500-Milliarden-Versprechungen von allen drei „Kanzlerkandidaten“ wiederum für die Konzerne und Banken unter dem Etikett „Klimaschutz und Modernisierung – Digitalisierung“.

So kann es nicht weiter gehen“ (Streikende Metaller in Leipzig)

Zeitgleich mit der Wählerablehnung haben die Massen begonnen, die Straße für ihren Widerstand gegen die Regierungspolitik zu erobern. Zu einem herausragenden Signal dafür wurden die Massendemonstrationen und Kundgebungen am 1. Mai in Berlin. Unter ihnen waren viele Tausend, die sich, getragen von eine breiten gesellschaftlichen Mehrheit bundesweit, gegen  Mietwucher und Wohnungsnot erheben, für das Recht auf Wohnen und dass den Immobilienhaien die Entscheidungsgewalt aus der Hand genommen wird – aber auch gegen Lohndumping, Tarifflucht und Prekarisierung.

Im Tarifkampf für fast drei Millionen Beschäftigte im Einzel- und Versandhandel stehen seit Ende Mai in vielen Bundesländern die Beschäftigten mit ver.di im Streik für eine Reallohnerhöhung und die Allgemeinverbindlichkeit des Flächentarifvertrags.  Nach Unterbrechung der Tarifverhandlungen sind in Rheinland-Pfalz über 2.000 Busfahrer der privaten Busunternehmer im Warnstreik, aufgerufen von ver.di.

Die bundesweiten Kampfbewegungen für „mehr Personal“ und „TVöD für alle“ in den Krankenhäusern drängen zur Mobilisierung für einen bundesweit organisierten Tarifkampf. Mit dem Hinweis, dass das keine „tariffähige“ Forderungen seien, wird das bisher von der ver.di-Führung abgelehnt. Am 16. Juni hat die Gewerkschafts-Führung die Beschäftigten zum wiederholten Mal zu unverbindlichen und zersplitterten Aktionen aufgerufen. Doch in den Widerstandsbewegungen in den Krankenhäusern zeigt sich, sie wird die Kampfbereitschaft der Kolleg*innen in den Krankenhäusern nicht ersticken können.

Die spontanen Massendemonstrationen am 1. Mai in Berlin, ebenso wie die z.T. gewerkschaftlich organisierten Teilkämpfe gegen Entlassungen und für die Verteidigung und Rückeroberung des Flächentarifvertrages in der Metallindustrie und im öffentlichen Dienst, sind alles Widerstandsaktionen gegen die sozial und demokratisch zerstörerische Politik der GroKo. Doch die Gewerkschaftsführung weigert sich – und verhindert eher – sie auf der zentralen Perspektive zu vereinen, dass endlich Schluss gemacht werden muss mit der GroKo und ihrer Fortsetzung durch die im September neu entstehende Regierung.

Das gäbe eine günstigere Ausgangslage für den Kampf und Widerstand der arbeitenden Bevölkerung zu dem Zeitpunkt des Verschwindens von Merkel und ihrer GroKo im September.

Carla Boulboullé, 17. Juni 2021

 

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