Die Angst vor der Ablehnung

Mit der Beschwörung des „Zusammenhalts unseres Landes“, appelliert Bundeskanzlerin Merkel in ihrer Neujahrsansprache an die Bevölkerung und bekräftigt damit ihre Aufrufe zur Einheit gegen rechts.

Die Kanzlerin der GroKo, deren fortgesetzte verschärfte Agenda-Politik für eine immer tiefere soziale und politische Spaltung der Gesellschaft verantwortlich ist, beschwört den „Zusammenhalt“, weil sie ablenken muss von der wachsenden Ablehnung dieser Politik durch die gesellschaftliche Mehrheit. Mit Blick auf das kommende Super-Wahljahr, mit den Europawahlen, vier Landtagswahlen und neun Kommunalwahlen, wird sie von der Angst vor einer weiteren Schwächung der Regierungsparteien und Stärkung der AfD getrieben.

Merkel nutzt diese Formel vor allem in dem Wissen um die auf die GroKo zukommenden Herausforderungen der sich anbahnenden weltweiten Wirtschaftskrise. Unter dem Titel „Am Rande der Rezession“ warnt das Handelsblatt vom 15.1.2019: „Weltweit verstärken sich die Risiken vor einem Absturz“ – „Deutschlands Konzerne geraten zunehmend in Not“. In der stark betroffenen exportorientierten Kernindustrie mehren sich Entscheidungen und Pläne für Kurzarbeit und Arbeitsplatzvernichtung.

Angesichts der Gefahr eines „richtigen Absturzes“ verstärken Unternehmer und große Teile der CDU ihren Druck auf die Regierung für eine neue arbeitnehmerfeindliche Offensive.

In gleicher Tonlage verlangen die Arbeitgeberverbände und der CDU-Wirtschaftsrat nach einem „Jahrzehnt des Verteilens sozialer Wohltaten“ einen „Paradigmenwechsel” der Politik. Die neue CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer trommelt für Steuersenkungen für die Unternehmen. Bundeswirtschaftsminister Altmaier (CDU) drängt darüber hinaus auf die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags, um den Unternehmern weitere 20-Milliarden Euro zu schenken – d.h. eine weitere Umverteilung auf Kosten der dringend notwendigen staatlichen Investitionen für Krankenhäuser, Schulen, Kommunen…

Die Große Koalition steht vor dem Dilemma, Maßnahmen und Gesetzesvorhaben auf den Weg bringen zu müssen, die noch größeren Widerstand provozieren werden. Umso hektischer sind die Bemühungen von CDU und SPD, die fortgesetzten Schläge der verhassten Agenda-Politik als gute und starke Leistungen für die Bevölkerung zu präsentieren.

Gesundheitsminister Spahn (CDU) ist im Sommer letzten Jahres mit dem Versprechen angetreten, über seine „konzertierte Aktion Pflege“, den Pflegenotstand zu überwinden. Unter seiner Regie hat sich laut Prognos dieser aber nur noch ausgeweitet, und die von Spahn ab 1. Januar verordneten Personaluntergrenzen werden den Pflege- und Personalnotstand weiter verschlimmern. Das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz fördert den Abbau von Betten, die Schließung und Privatisierung von Kliniken… (s. auch Artikel in mehreren Ausgaben dieser Zeitung).

Konfrontiert mit dieser „hässlichen“ Realität und damit, dass seine Pflege-Aktion von Anfang an bei den Beschäftigten und in der Bevölkerung großen Widerstand ausgelöst hat, ergreift Spahn die Flucht nach vorn und sucht einen Ausweg darin, über immer neue Gesetzesvorschläge und -vorhaben neue „Wohltaten“ zu präsentieren.

„Eine Politik für die Vielen“ ?

In dieser Logik steht z.B. das Termin- und Versorgungsgesetz (TSVG). Darüber soll, so Spahn, u.a. mehr psychisch erkrankten Menschen eine schnellere Behandlung zuteil werden. 200.000 Bürger unterzeichneten eine Petition, weil Spahn mit dem Projekt in Wahrheit die dringlich geforderten mehr kassenärztlichen Therapieplätze verweigert.

Mit der gleichen Intention wie Merkel beschwören auch die SPD-Vorsitzende Nahles und ihre Minister in der GroKo den „gesellschaftlichen Zusammenhalt“, wobei sie nur die „sozialdemokratische“ Prise Salz der „Gerechtigkeit“ hinzufügen

Mit ihren Bemühungen, über „Reform“gesetze Korrekturen an den von der Agenda-Politik verursachten „Ungerechtigkeiten“ vorzutäuschen, um die wachsende Ablehnung der Politik der GroKo abzuwehren, stehen die Bundesminister der SPD im Wettlauf mit denen der CDU.

Solche Gesetze, die Bausteine von Nahles „Großer Sozialstaatsreform 2025“ sein sollen (s. auch „Soziale Politik & Demokratie Nr. 405), sollen schon mit ihren Namen den Schein erwecken, dass hier gute „Politik für die vielen“ gemacht wird.

So z.B. das „Teilhabechancengesetz“ von Heil, das Langzeitarbeitslose in Jobs mit Niedriglöhnen zwingt, bei nahezu vollständiger Übernahme der Lohnkosten für die Unternehmer durch den Staat. Dem „Gute-Kita-Gesetz“ von Giffey, das weder die dramatische Personalnot noch den Mangel an Kitaplätzen beheben oder gar die Betreuungsqualität verbessern wird, folgt nun das „Starke-Familien-Gesetz“ zum angeblichen Kampf gegen die Kinderarmut – angesichts der unzureichenden, geringen Verbesserungen „schon fast Realsatire“ (Kinderschutzbund). Mit Gnadenkrümeln sollen Millionen Kinder abgespeist werden (wobei auch noch viele durch den Rost fallen). Es soll verschleiert werden, dass die Ursache von Kinderarmut die Armut der Eltern die Agenda-Politik und die Hartz-Gesetze sind, die Millionen Arbeitnehmer in entrechtete Billigjobs geworfen haben – woran weder von Giffey noch Heil gerüttelt wird.

DGB-Führungsverantwortliche unterstützen Politik der GroKo

Diese vor allem gegenüber der SPD von den Arbeitnehmern immer wütender abgelehnte Politik der GroKo findet ausgerechnet bei den DGB-Führungsver–antwortlichen ihre einzigen –natürlich „kritischen“ – Unterstützer. Sie stellen diesen angeblichen „Korrektur“-Gesetzen fast ausnahmslos das Zeugnis eines „Schritts in die richtige Richtung“ aus, allenfalls verbunden mit der Einforderung von „Nachbesserungen“, um den Widerstand der Kolleg*innen aufzufangen.

So hat am 1. Januar dpa Äußerungen aus einem Interview mit dem DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffman verbreitet: „In den ersten Monaten der aktuellen Großen Koalition ist mehr gelungen, als in der Öffentlichkeit angekommen ist“. Hoffmann bestätigt damit sein Versprechen auf dem DGB-Bundeskongress im Mai 2018: „Der DGB wird die Regierungspolitik in den nächsten Jahren unterstützen“.

Die ver.di-Führung konnte die Bestrebungen der Beschäftigten in den Krankenhäusern, über einen bundesweiten Streik für „mehr Personal“ an den Kliniken zu erzwingen, mit politischer Bettelei gegenüber der Bundesregierung zurückdrängen. Doch sie kann nicht verhindern, dass die Kolleg*innen sich in den Krankenhäusern weiterhin für ihre Forderung nach mehr Personal mobilisieren und für diesen Kampf nach ihrer Gewerkschaft greifen. Wir haben wiederholt darüber berichtet.

Kolleg*innen lassen sich nicht vom Kampf abhalten.

Ein Signal dafür ist der Aufstand der Beschäftigten der Flugsicherheit gegen die jahrzehntelange Politik der Deregulierung. Privatisierte Untergesellschaften haben die Sicherheitskräfte – wie ihre Kolleg*innen von den Bodenverkehrsdiensten – als Material für Lohndumping missbraucht, um aus ihnen hohe Gewinnmargen rauszupressen. Mit ihrer Gewerkschaft ver.di kämpfen sie mit großer Entschlossenheit für ihre Forderung 20 Euro bundeseinheitlich für alle, d.h. für die einen die Eroberung und die anderen das Zurück in den Flächentarifvertrag.

Und dieser Streik ist „ein Signal auch für uns, die Kolleg*innen bei den Bodenverkehren“, die ebenfalls dafür kämpfen, dass das Lohndumping endlich beendet wird und ein bundeseinheitlicher Flächentarifvertrag, der TVöD, für alle in Kraft tritt. (s. S. 8)

Carla Boulboullé

 

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