Die ersten Tage der neuen Großen Koalition

Schon die ersten Tage und Wochen ihrer Existenz reichen aus um zu demonstrieren, dass diese dritte Große Koalition unter Kanzlerin Merkel die grundsätzlichen Makel ihrer Geburt nicht vergessen machen kann. Keine ihrer Protagonisten hat sie gewollt, und sie sahen sich doch zu dieser Notlösung gezwungen. Das von einer SPD-Mitgliedermehrheit zum entscheidenden Teil erpresste Lippenbekenntnis konnte nicht die fortdauernde Ablehnung durch die große Mehrheit übertünchen. Diese Ablehnung ist aber nur ein Reflex zu dem Befund: Diese Regierung für ein „Weiter so“ mit der Agenda-Politik regiert gegen die gesellschaftliche Mehrheit des arbeitenden Volkes und der Jugend.

Einige Minister nutzen ihre Regierungsposition, um sich wie Innenminister Seehofer (CSU) mit der Hetze gegen die Flüchtlinge und im Interesse der bayrischen Landtagswahlen zu profilieren und von der sozialen Empörung abzulenken. CDU-Minister Spahn wiederum will sich vor allem provokativ als harter Hund für die neue verschärfte Agenda-Politik gegen den in den Augen des Kapitals zu vorsichtigen Merkel-Kurs schon als deren Nachfolger aufbauen.

Finanzminister Olaf Scholz (SPD) präsentiert sich für die SPD als Garant für die unbedingte Einhaltung der Schuldenbremse, in deren Namen die Fortsetzung der Kaputtsparpolitik gegen die Kommunen, Schulen, Krankenhäuser festgeschrieben werden soll. Dafür bürgt auch der von ihm ernannte Staatssekretär und Verteidiger der Schuldenbremse und Architekt der „schwarzen Null“., Werner Gatzer.

Dass auch zukünftig die Krisenanforderungen des Finanzkapitals konsequent die Politik der Regierung bestimmen, zeigt sich in der Entscheidung von Scholz, den Investmentbanker Jörg Kukies direkt von seinem Posten als Ko-Chef der Deutschlandvertretung von Goldmann-Sachs zum Staatssekretär in das Finanzministerium zu berufen.

Für die von den Unternehmern geforderte Deregulierung zur Senkung der Lohnkosten im Interesse der Verteidigung und Förderung der Wettbewerbsfähigkeit ist im Koalitionsvertrag die Schleifung des Arbeitszeitgesetzes festgeschrieben. Schon Andrea Nahles hatte es sich als Arbeitsministerin der vorherigen Großen Koalition zum Ziel gesetzt, die historische Errungenschaft des 8-Stundentags und der 40-Stunden-Woche zu brechen. Jetzt warnt der NGG-Vorsitzende Rosenberger: »Die vagen Ankündigungen im Koalitionsvertrag von ›Experimentierräumen‹ für ›selbstbestimmte Arbeitszeit‹ und mehr betriebliche Flexibilität und flexiblere Regelung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit mittels Betriebsvereinbarungen könnten alle Dämme brechen lassen«.

Ende April wollen die Euro-Finanzminister „Schuldenerleichterun-gen“ für Athen diskutieren, das unter der Schuldenlast schon zusammengebrochen ist und das den Euro und das europäische Finanzsystem in diesen Zusammenbruch mit hineinzuziehen droht. Lange Zeit hatten Schäuble und Merkel diese Frage hinausgeschoben und zuletzt auf die Zeit nach den Bundestagswahlen verwiesen.

Unter dem Druck des IWF, der seine Beteiligung an neuen Krediten davon abhängig macht, dass die Europäer, d.h. vor allem Deutschland, zu weit höherer Lastenübernahme bereit sind, kommen horrende Milliardensummen auf den staatlichen Hauptgläubiger BRD zu, bei dem die privaten Banken und Finanzspekulationsfonds längst ihre Kredite gewinnbringend entsorgt haben.

Jetzt kann Merkel sich auf den SPD-Finanzminister stützen, damit dieser die „Drecksarbeit“ für die neue Große Koalition erledigt. Für die hohen Summen muss Scholz weitere drakonische Spar- und Deregulierungsschläge gegen das schon ausgeblutete griechische Volk erpressen und zugleich für die Rettung von Schuldenbremse und schwarzer Null dem arbeitenden Volk in Deutschland eine noch schärfere Agenda-Politik aufzwingen.

Sie provozieren noch mehr Ablehnung

Scholz, noch kommissarischer SPD-Vorsitzender und Vizekanzler der Großen Koalition, zeichnet sich aus als einer der profiliertesten und entschlossensten Vertreter dieser Politik für eine „neue Agenda“. Der aus Versprechungen von trügerischen sozialen Korrekturen gewobene Schleier, der die angeschlagene, geschwächte Regierung vor der zunehmenden Ablehnung schützen sollte, zerreißt. Die härter werdenden Schläge gegen alle sozialen Errungenschaften werden einen noch massiveren Widerstand der gesellschaftlichen Mehrheiten gegen die Große Koalition und die sie tragenden Parteien provozieren. Am meisten von dieser Ablehnung getroffen wird die SPD, die nach letzten Umfragen bei 18%  dümpelt und seit dem Mitgliederentscheid über 6000 Mitglieder verloren hat.

Das Nein der Mehrheit der SPD-Mitglieder zur GroKo und Fortsetzung der Agenda-Politik hat in der Gegenkandidatur zu A. Nahles für den Parteivorsitz eine Stimme gefunden: bundesweit hat Simone Lange Unterstützung durch viele Ortsvereine und Genoss*innen erhalten.

Während Scholz ausdrücklich am verhassten Hartz IV festhält, dieser Maschinerie für den Sturz von Millionen Arbeitnehmern und ihren Familien in Billigjobs und Armutslöhne, in Kinder- und Altersarmut, Herzstück der Agenda-Arbeitsmarkt„reformen“ Schröders, – erklärt S. Lange, dass Harzt-IV „vielen Menschen geschadet“ habe. Und während Scholz sich auf die Arbeitgeber stützt, die gegen die Pläne selbst nur einer Korrektur an Hartz-IV rebellieren, erklärt S. Lange: „Als Parteivorsitzende“ werde sie für Hartz-IV „bei den Menschen um Entschuldigung bitten“. „Ich will den Niedriglohnsektor nicht verbessern, ich möchte ihn abschaffen!“ Damit spricht S. Lange auch für viele Genoss*innen der AfA, die den Gang in die GroKo abgelehnt haben und auf der bevorstehenden Bundeskonferenz Ende April für entsprechende Anträge kämpfen wollen.

Im öffentlichen Dienst, Dienstleistungen erheben sich die Beschäftigten mit ihren Gewerkschaften, vor allem ver.di und GEW, in vielfachen Formen gegen die Zerstörungen des fortgesetzten Diktats der Schuldenbremse. Für die 2,3 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen haben die Gewerkschaftsführungen auf eine kräftige Reallohnerhöhung von 6% und mindestens 200 Euro konzentriert.

Die Arbeitgeber verweisen auf die Situation der unter dem Diktat der Schuldenbremse schon kaputtgesparten Kommunen und dass diese keinen Spielraum für eine wirkliche Reallohnerhöhung zulasse. Sie kündigen bei zu hohen Ergebnissen Stellenabbau, Ausgliederungen und Privatisierungen an. (s. auch Art. auf S. 4)

Zur gleichen Zeit greifen die Kolleg*innen vor allem in den Krankenhäusern nach ihrer Gewerkschaft ver.di im Kampf und Streik für mehr Personal. Feuerwehreute, dann wieder Kita-Beschäftigte demonstrieren für mehr Personal. Andere integrieren sich in die Warnstreiks für 6% mit ihren Forderungen nach Aufhebung der Ausgliederungen und Rückeroberung der Flächentarifverträge. Die in die Warnstreiks gerufenen Kolleg*innen diskutieren über die Notwendigkeit von Klauseln im Tarifvertrag, durch die Kompensationen wie Stellenabbau und Outsourcing ausgeschlossen werden. Sie erwarten eine breitere Mobilisierung aller Kolleg*innen, wenn entsprechende Forderungen im Tarifkampf aufgenommen werden.

Carla Boulboullé

 

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