„Nützliche” und „unnütze” Flüchtlinge und ArbeitnehmerInnen

„Ich sage wieder und wieder: Wir können das schaffen, und wir schaffen das”, so der wiederholte Appell von Merkel, Kanzlerin der Großen Koalition.

Im Klartext: alle müssen zusammenstehen, alle müssen Opfer bringen! Das ist das Gebot der Stunde, der von Merket beschworenen Politik der Nationalen Union.

Unmissverständlich hat Bundesfinanzminister Schäuble (CDU) in der Haushaltsdebatte des Bundestages am 8. September klargestellt, dass die „schwarze Null” sakrosankt ist: D.h., die Finanzierung der sich durch die „Flüchtlingssituation“ gestellten „anspruchsvollen Aufgabe” „wollen wir ohne neue Schulden schaffen“. Andere „Aufgaben“ seien diesem Ziel „unterzuordnen“. So müsse z.B. der Ausbau der Mindestlohnkontrollen durch den Zoll verlangsamt werden. Und wir „brauchen dringend eine Flexibilität, mit der wir uns bisher schwer tun“: z.B. bei der Zulassung von Standard-Abweichungen in Rechtsbereichen wie beim Bau- und Vergaberecht, beim Brand- und Lärmschutz. (Übrigens von der EU im Namen des „Wettbewerbs” immer wieder gefordert).

Die Kommunen, deren Haushalte unter der Schuldenbremse ausgeblutet sind, werden allerdings von der Bundesregierung bei der Finanzierung der von Schäuble beschworenen „anspruchsvollen Aufgabe“ weitgehend alleingelassen – nachdem nach 10 Jahren Agenda-Politik die soziale Infrastruktur ruiniert ist und große Bereiche des Öffentlichen Dienstes und der öffentlichen Daseinsvorsorge kaputt gespart sind. (Darüber können auch die Versprechungen des Flüchtlingsgipfels vom 24.9. nicht hinwegtäuschen. DGB: „Zudem reichen die vorgesehenen Gelder bei weitem nicht“.)

Zusammen mit der arbeitenden Bevölkerung und Jugend prallen jetzt zusätzlich Tausende Flüchtlinge mit der den Kommunen vom Bund und den Ländern aufgezwungenen Kaputtsparpolitik zusammen, der Demontage der sozialen und staatlichen Infrastruktur.

Der Zynismus des SPD-Vorsitzenden Gabriel ist kaum noch zu überbieten, der es wagt, angesichts dieser dramatischen Situation zu erklären: „Selten hat Deutschland so zusammengestanden wie jetzt. Das tut uns gut und das tut den Flüchtlingen gut.“ (in der Haushaltsdebatte).

Die Verwaltungen sahen sich schon bisher unter dem Personalmangel zu Leistungseinschränkungen bis hin zu zeitweisen Schließungen der öffentlichen Ämter gezwungen. Jetzt sollen sie die Registrierung und Unterbringung der Flüchtlinge „bewältigen“. Es droht ein Kollaps. Ver.di und die Beschäftigten fordern dringend die Finanzierung von mehr Personal.

Der Personalmangel beim Pflegepersonal in den Krankenhäusern und auch der Ärztemangel sind erdrückend. Mit der Krankenhaus„reform“ unterwirft die Große Koalition die Krankenhäuser einem weiteren einschneidenden Sparprogramm.

Die Flüchtlinge, die in den ersten 15 Monaten keinerlei gesetzlichen Anspruch auf eine Gesundheitsversorgung haben und denen selbst eine zweitklassige „Gesundheitskarte“ verweigert wird, sollen weiterhin mit der Beschränkung auf eine medizinische Notfallversorgung abgefunden werden.

Zwei Millionen Sozialwohnungen fehlen nach Angaben des Deutschen Mieterbunds (DMB) mindestens in Deutschland, während der Bestand jährlich um weitere rund 100.000 sinkt. Angesichts der eklatanten Wohnungsnot müssten jährlich 400.000 neue Wohnungen gebaut werden, davon 80.00 Sozialwohnungen. Doch der für 2016 eingebrachte Haushalt der Großen Koalition sieht — trotz des steigenden Bedarfs wegen der großen Zahl der Flüchtlinge – keine Erhöhungen im sozialen Wohnungsbau vor.

„Unterricht in Ruinen!“ titelt „Die Zeit“ vom 17. September einen Bericht über Deutschlands Schulen. Die Notrufe über fehlende Lehrer gehören zum Schulalltag. Und in diese „maroden Schulen“ sollen jetzt noch 100.000e Flüchtlingskinder gepfercht werden? Woher sollen die unter der Schuldenbremse ächzenden Länder und Kommunen das Geld nehmen für die Tausende neuer Lehrerstellen und Räume, um das Recht auf einen qualifizierenden Schulbesuch für alle Kinder, einschließlich aller Flüchtlingskinder, zu realisieren? Oder auch für die Sprachförderung und Berufsqualifizierung? Schon heute verlassen 13,3 Prozent der Migrantenkinder die Schule ohne jeden Abschluss, für 43 Prozent endet die Schulzeit mit dem Hauptschulabschluss.

Das Kapital sieht für sich die Perspektive für eine neue Offensive zur massiven Ausweitung von Billigjobs und zur Senkung des Lohnniveaus.

Nicht einmal 10 % der Flüchtlinge erfüllen die Anforderungen, um direkt auf einen Arbeitsplatz vermittelbar zu sein, konstatiert Arbeitsministerin Nahles (SPD). Unter diesen aber suchen und finden die Großunternehmen wie die Deutsche Post DHL Group das „nützliche Potential” (Post-Chef Appel) an qualifizierten Arbeitskräften, die außerhalb der Flächentarifverträge in den Ausbeutungsprozess integriert werden sollen.

Die Mehrheit der „unnützen“ Flüchtlinge soll zu dem Heer der prekarisierten Billiglöhner stoßen und als eine moderne Reservearmee instrumentalisiert werden, um Druck auf die Lohnkosten auszuüben. Ihnen soll selbst der Mindestlohn abgesprochen werden, so die Forderung aus dem Unternehmerlager wie aus CDU/CSU, weil „ihre Produktivität schlicht zu gering ist“. Dieser Vorstoß wird von dem Deutschen Landkreistag unterstützt, der drei Viertel der kommunalen Auftraggeber vertritt.

Die verschärfte Agenda-Sparpolitik, die unter dem Diktat der Schuldenbremse der arbeitenden Bevölkerung in Deutschland wie den Flüchtlingen das Recht auf qualifizierte Gesundheitsversorgung, auf Sozialwohnungen, auf Bildung und qualifizierte Ausbildung abspricht; und die unter dem Gebot der Wettbewerbsfähigkeit das Heer der Flüchtlinge als Billiglohnkonkurrenz auf den Arbeitsmarkt wirft, fördert die soziale Entgegensetzung und erlaubt den politischen Brandstiftern (auch aus der CDU/CSU) mit ihrer Demagogie Fremdenhass zu schüren.

„Wir schaffen das“, – und werden trotzdem die „schwarze Null“ behalten. Unter dem Zwang, die Schuldenbremse unter allen Umständen einzuhalten, bleibt kein Platz für die berechtigten Forderungen der in der öffentlichen Daseinsvorsorge, in den sozialen Diensten Beschäftigten.

So appelliert der Städte- und Gemeindebund an die Erzieherinnen und ihre Gewerkschaft ver.di: „Im Hinblick auf die Herausforderungen der zunehmenden Flüchtlingszahlen in Städten und Gemeinden wird die Öffentlichkeit kaum Verständnis dafür haben, wenn durch Streiks das frühkindliche Bildungssystem teilweise lahmgelegt wird“. ( Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg)

Die Erzieherinnen aber können und werden nicht bereit sein, nachdem sie jahrelang mit Niedriglohntarifen abgespeist wurden, ihre Forderungen der von der Bundesregierung diktierten Sparpolitik zu opfern. So fordert z.B. die Frauengruppe ver.di Bezirk Chemnitz/Erzgebirge in einer Resolution, die dem Gewerkschaftskongress von ver.di vorliegt, die Fortsetzung des „Erzwingungsstreiks“ für die Forderung nach höherer Eingruppierung aller Berufsgruppen im Sozial- und Erziehungsdienst.

Carla Boulboullé

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