„Kurswechsel“ der SPD?

„Die SPD ist nicht nur der Betriebsrat der Nation“, der SPD-Vorsitzende Gabriel lässt die Maske fallen: Der Mindestlohn zum Beispiel oder die Rente mit 63, das sei etwas fürs „sozialdemokratische Herz“ gewesen. Die SPD-Politik müsse Wirtschaftskompetenz ausstrahlen – als neue Heimat eines „sozialen Liberalismus“, so Gabriel.

Kapital und CDU feiern Gabriels Abschied von den „Korrekturen an der Agenda“ – und die Wende hin zu einer schonungslos offenen Fortsetzung der Agenda-Politik.

Schon bisher hatten die von den Kapitalvertretern kritisierten „Geschenke“ an die Gewerkschaften, die „Korrekturen“ an Schröders Agenda, bei den Arbeitnehmern keinen Enthusiasmus ausgelöst. Das spiegelt sich in allen letzten Meinungsumfragen wieder, in denen sich eine Vertiefung der Ablehnung der SPD durch die Arbeitnehmer gegenüber den letzten Bundestagswahlen ausdrückt.

Mit dem gesetzlichen Mindestlohn sollte ein Ventil gegenüber dem Druck geöffnet werden, der von dem großen Heer der tarifvertragslosen, völlig entrechteten Beschäftigten ausgeht, die im Kampf für Tarifverträge nach ihren Gewerkschaften greifen; gegenüber dem Druck, der Millionen Arbeitnehmer im Einzelhandel, im Friseur – und Gaststättengewerbe oder auch in der Land – und Forstwirtschaft, wo massenhaft die von Tarifflucht betroffenen Beschäftigten in Niedriglohn-Tarifverträge und untere Lohngruppen um die Armutsgrenze gestoßen wurden, sowie in oT-Beschäftigungsverhältnisse (ohne Tarifvertrag).

Mit dem Mindestlohn wird ihnen eine Lohnerhöhung unterhalb der Armutsgrenze versprochen, deren Umsetzung niemand kontrollieren kann, die aber auf jeden Fall alle Betroffenen aus den tarifvertraglichen Errungenschaften ausschließt, vorneweg diejenigen in tariflosen Beschäftigungsverhältnissen. Ganz zu schweigen von den über drei Millionen Menschen, die über die Ausnahmeregelungen selbst von der Mindestlohnerhöhung ausgenommen und der „Willkür von Hungerlöhnen“ (ver.di-Vorsitzender Bsirske) ausgeliefert bleiben.

Wohin soll die „Neuausrichtung der SPD“ führen, von der Gabriel spricht?

In vollem Einklang verweigern CDU-Finanzminister Schäuble und Gabriel unter dem Diktat der Schuldenbremse, denen die öffentlichen Haushalte unterworfen sind, alle dringlichst geforderten Investitionen in die öffentliche Infrastruktur von Bund, Land und Kommunen.

Denn die Große Koalitionsregierung Merkel/Gabriel hat der Erreichung der „schwarzen Null“ im Bundeshaushalt 2015 oberste Priorität zugeschrieben – auch durch weitere Kürzungen der öffentlichen Investitionen.

Stattdessen eröffnen Gabriel/Schäuble eine brutale Privatisierungsoffensive, vor der die bisherigen Regierungen noch zurückgeschreckt waren. In Zeiten der Schuldenbremse, so Gabriel/Schäuble, müsse der Staat zum Erhalt der Infrastruktur, z.B. der Verkehrswege, des ÖPNV, der kommunale öffentlichen Daseinsvorsorge, wie auch der Bildung usw. , private Finanzinvestoren ins Boot holen (über Öffentlich-private-Partnerschaften (ÖPP). Und da bietet es sich an, dass Versicherer und Banken renditefeste Anlagen für ihr Kapital suchen.

Das was Gabriel/Schäuble da auf den Weg bringen, ist nichts anderes als die Auslieferung der sozialen und öffentlichen Infrastruktur an Heuschrecken der Finanzspekulation, denen über Jahrzehnte eine sichere Rendite vom Staat garantiert wird, „eine Geldmaschine, bei der die Allgemeinheit die Risiken behält. (…) Traditionell gehören Straßen, öffentliche Gebäude und andere Einrichtungen Bund, Land oder Gemeinde. (…) Das Gebot der Stunde sind mehr öffentlicher Investitionen. Mit ÖPP muss Schluss sein. Es muss um die Interessen der Menschen gehen – nicht um Gewinnpflege.“ (ver.di)

Es gibt Erfahrungen mit ÖPP in Berlin, z.B. bei den Wasserbetrieben, die durch die privaten Anteilseigner rücksichtslos ausgeplündert wurden; oder bei der CFM, aus der Charité ausgegliederten Dienstleistungen, wo die Beschäftigten seit Jahren mit ihrer Gewerkschaft für Wiedereingliederung in die Charité und den gemeinsamen Tarifvertrag kämpfen. (s. auch S. 5)

Diese Kämpfe finden inzwischen zunehmend ein Echo in der SPD. Der Landesparteitag der Berliner SPD hat schon vor über einem Jahr beschlossen: „Die SPD lehnt jede Form der Privatisierung staatlicher Aufgaben der Daseinsvorsorge ab“, insbesondere ÖPP. „Die Kommunen (sind) finanziell so auszustatten, dass sie ihre Aufgaben in der Daseinsvorsorge ohne private Finanzierung durchführen können“. Darauf kann sich der SPD-MdB aus Berlin, Swen Schulz, heute stützen, der sich – angesichts der von Gabriel forcierten neuen Privatisierungswelle – dagegen wendet, dass unter dem Gebot der Schuldenbremse öffentliche Aufgaben wegen fehlender Mittel privat finanziert werden sollen – mit entsprechenden Gewinnen für das Kapital.

Die harte Sparpolitik, die Gabriel/Schäuble im Namen der Schuldenbremse dem Land aufzwingen, hat schon bisher Widerstandskämpfe der Arbeiterschaft provoziert und wird neue, heftigere Kämpfe provozieren.

Aktuelles Beispiel ist der Streik bei der Bahn: die Lokführer fordern höheren Lohn, vor allem aber eine Verkürzung der Arbeitszeit, weil die drastischen Spareinschnitte im Rahmen der Privatisierungsmaßnahmen zu unerträglichen Arbeitsbedingungen infolge von Arbeitsverdichtung und Personalabbau geführt haben.

Um die Kontrolle zu behalten, muss Gabriel dafür sorgen, die Gewerkschaften in seine Privatisierungsoffensive einzubinden, wozu er mit der Ernennung des IG BCE Vorsitzenden Vassiliadis und des geschäftsführenden Vorstandsmitglieds der IG Metall, Lemb, in seine Investitions-Expertenkommission einen ersten Schritt gemacht hat.

Doch die Arbeiterschaft wird ihre Antwort geben. Der Griff der Kollegen, sei es der Lokführer, der Krankenhausbeschäftigten oder Lehrer, nach den Gewerkschaften im Kampf gegen die zerstörerische Sparpolitik, gegen die Privatisierungsoffensive, gegen die Ausweitung von Niedriglohn-Tarifverträgen, prekärer und tarifloser Beschäftigungsverhältnisse im Namen der Schuldenbremse und der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit, wird sich ausweiten. Und im Zentrum dieses Kampfes steht die Verteidigung der Unabhängigkeit der Gewerkschaften. Ebenso bricht der Widerstand von kommunalen Mandatsträgern und der Bevölkerung auf.

Ist es da nicht notwendig, gewerkschaftliche und politische Arbeiterkämpfer und die politischen Widerstandskräfte in der SPD zu sammeln, die diese Kämpfe unterstützen und sie auf der Grundlage ihres gemeinsamen Willens zu vereinheitlichen suchen:

dass endlich Schluss sein muss mit der zerstörerischen Agenda-Politik, mit Schuldenbremse und der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit;

dass Schluss damit sein muss, dass die SPD-Führung um Gabriel Merkel in der Großen Koalition hilft, der Arbeiterschaft und Jugend diese Agenda-Politik zu verordnen.

Das ist die Diskussion, die in den politischen Arbeitskreisen um die „Soziale Politik & Demokratie“ geführt wird, und zu der alle Arbeitnehmer, Gewerkschafter, Sozialdemokraten und politisch Engagierte eingeladen sind.

 

Carla Boulboullé

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